Bergen-Belsen

»Beschützt die Würde der Menschen«

»Wir sind dankbar für das Geschenk der Versöhnung«, Bundespräsident Joachim Gauck Foto: Rafael Herlich

Befreiung – an einem Ort wie Bergen-Belsen bedarf dieses Wort keiner Debatte. Sein tiefer Sinn ist unbestreitbar. Genauso unbestreitbar wie die unermessliche Schuld, die Deutsche in den Jahren zwischen 1933 und 1945 an ungezählten Orten in ganz Europa auf sich geladen haben.

Der Schrecken, der am 15. April 1945 mit der Befreiung des Lagers Bergen-Belsen zu Ende ging, hatte sich nicht nur irgendwo weit »im Osten« zugetragen, hinter der Front oder in den besetzten Gebieten, sondern hier, mitten in Deutschland; in einer Region, in der die Aufklärer Leibniz und Lessing gewirkt hatten.

Und mitten in dieser Kultur, auf die wir stolz sind, mitten in dieser Geschichte, in der wir unsere Wurzeln haben, mitten in dieser Heimat, die wir lieben – mitten darin klafft ein unfassbarer Abgrund, der mit Worten wie »Schrecken«, »Schande« und »Schuld« nur unvollkommen beschrieben werden kann. Orte wie Bergen-Belsen, Buchenwald oder Dachau sind auf ganz besondere Weise Symbole dieses Abgrundes. Sie stehen für die unermessliche politische, moralische, kulturelle und humanitäre Katastrophe, in die das »Dritte Reich« der Deutschen das Land und die Menschen in ihm geführt hatte. ...

Wer die Gedenkstätten ehemaliger Konzentrationslager besucht und sich mit der Frage konfrontiert: Wie konnte das alles geschehen?, kann erfahren, dass sich die sonst gefühlte Distanz zur Geschichte auflöst und in der Begegnung in eine große Klarheit verwandelt. Aus Trauer ergibt sich Erinnerung. Und aus individueller Erinnerung wird gemeinschaftliches Gedenken. Und dann spüren wir, welche Bedeutung in diesem Erinnerungsprozess liegt. Wir spüren, dass Erinnerung unseren Blick nicht nur zurück in die Vergangenheit lenkt, sondern dass es immer auch um Gegenwart und Zukunft geht. Wer in der Zukunft »in der Wahrheit« leben will, der braucht ein aufrichtiges und der Wahrheit verpflichtetes Erinnern, eines, das den Menschen zum Menschen macht – so, dass er das Leid seines Nächsten nicht gleichgültig hinnimmt, sondern es zu lindern oder zu beenden versucht, wo immer das möglich ist. So bildet das Humanum den eigentlichen Zielpunkt für Erinnerung und Gedenken.

So stehen wir hier in einer Verantwortungsgemeinschaft, die sich dazu bekennt, die Würde des Menschen und seine unveräußerlichen Rechte zu erhalten und zu verteidigen. Der Schrecken ist auch heute nicht verschwunden aus unserer Welt, doch mit dieser Haltung können wir ihm entgegentreten.

Wir müssen den Blick auf Geschehendes richten. Das ist unsere Lehre aus der Vergangenheit. Wo wir nur können, werden wir Unrecht ein Ende setzen. Und wenn uns die Mittel fehlen, um einzuschreiten, wenn wir machtlos sind, können wir immer noch mehr tun, als ohnmächtig wegzusehen. Wir können und müssen dann Zeugen sein und müssen Zeugnis ablegen. Das kann jeder von uns. ...

Wir Deutsche sind dankbar für das große Geschenk der Versöhnung mit unseren Nachbarn in Europa und allen Völkern, denen Deutsche damals unsagbares Leid zugefügt haben. Wir bekennen uns heute erneut zu dem Auftrag, die Verbrechen nicht zu leugnen oder zu relativieren und die Erinnerung an die Opfer wachzuhalten. Indem wir an sie denken, sagen wir »ja« zu ihrem Auftrag an uns Nachgeborene: Bewahrt und schützt das Leben und die Würde des Menschen.

Ukraine

»Sie haben uns von allem befreit«

Wie haben sich drei Jahre Krieg auf die Juden in der Ukraine ausgewirkt?

von Michael Gold  18.02.2025

Interview

Haben Sie genug für Israel und für Juden in Deutschland getan, Herr Bundeskanzler?

Olaf Scholz (SPD) über die deutsche Staatsräson, seine Grünen-Koalitionspartner und die Bilanz der Ampel-Regierung bei jüdischen Themen

von Mascha Malburg, Philipp Peyman Engel  18.02.2025

KZ-Gedenkstätte Buchenwald

Mehr Gegenstände aus Menschenhaut

Verstörende Erkenntnisse des Kriminalbiologen Mark Benecke im früheren Konzentrationslager

 18.02.2025

Nahost

Tausende erinnern an Schicksal der Hamas-Geiseln

Die Menschen demonstrieren für die seit 500 Tagen im Gazastreifen leidenden Verschleppten. Einer, der erst kürzlich die Freiheit wiedergewann, sagt: Viel Zeit haben die anderen nicht mehr

 18.02.2025

Interview

»Wir müssen die Probleme lösen, die die AfD groß gemacht haben«

Christian Lindner über Abstimmungen mit der AfD, deutsche Finanzhilfen an die Palästinenser und Renten für Schoa-Überlebende

 17.02.2025

Bundestagswahl

Schuster: Jüdisches Leben wäre durch AfD-Regierung bedroht

Auch das europäische Ausland blickt gespannt auf die Wahl in Deutschland. Was eine Machtbeteiligung der AfD für jüdisches Leben bedeuten könnte, hat jetzt Zentralratspräsident Schuster in Italien gesagt

von Ludwig Ring-Eifel  17.02.2025

Bundestagswahl

»Die Bürger haben ihr Urteil über die Ampel längst gefällt«

Der Wahlforscher Stefan Merz von Infratest dimap über die Stimmungslage eine Woche vor der Bundestagswahl

von Michael Thaidigsmann  17.02.2025

Bundestagswahl

Zentralrat der Juden mahnt zur Kompromissfähigkeit

Josef Schuster schreibt der kommenden Legislaturperiode des Bundestags »eine Schlüsselrolle für unsere Demokratie« zu

 17.02.2025

Nachruf

Der Mutmacher

Peter Finkelgruen über den am Samstag im Alter von 92 Jahren verstorbenen FDP-Politiker Gerhart Baum

von Peter Finkelgruen  17.02.2025