Standpunkt

Berliner Lektionen

Ich wusste von Anfang an, dass diese Aufgabe hier etwas Besonderes sein würde. Das war offensichtlich, als ich 2009 als Gesandter des Staates Israel nach Berlin kam. Nun verlasse ich diesen Posten – und kehre mit sehr positiven Eindrücken nach Jerusalem zurück.

Mein Abschied fällt in eine schwere Zeit. In den vergangenen Tagen durchlebten wir Momente tiefer Trauer um den Tod der drei israelischen Jugendlichen, die durch die Hand von Hamas-Terroristen starben, wie um das Schicksal des jungen Palästinensers. Israel ist unter Beschuss aus dem Gazastreifen, wir erleben eine Zeit von Gewalt und Terror. Ich hoffe, dass die Vernunft die Oberhand gewinnen und unser Kampf gegen den Terror erfolgreich sein wird.

In den fünf Jahren meiner Tätigkeit in Deutschland habe ich erlebt, wie stark und freundschaftlich die deutsch-israelischen Beziehungen sind. Sie sind besonders, auch und vor allem wegen der Vergangenheit. Daher haben wir die Erwartung, dass dieses Land ein besonderes Verständnis für Israel hat. Doch das ist leider nicht immer der Fall. Es gibt viel Kritik an Israel und einzelnen Bereichen seiner Politik, zumeist an der Siedlungspolitik oder an Positionen in den israelisch-palästinensischen Verhandlungen. Um nicht missverstanden zu werden: Kritik unter Freunden ist ganz normal. Und wir haben viele Freunde in Deutschland.

wahrnehmung
Im Rahmen unserer guten Beziehungen unternehmen beide Länder vieles gemeinsam, das häufig in der öffentlichen Wahrnehmung untergeht. Man spricht eher über Misserfolge und Schwierigkeiten. So ist das nun einmal. In Bezug auf Israel berichten die Medien lieber über den Nahost-Konflikt. Doch der ist nur ein Teil der Realität. Das allein macht Israel nicht aus. Israel ist Innovation, Hightech und vieles mehr. Wir sind ein offenes Land, demokratisch, tolerant, mit einer hoch entwickelten Kultur. Aber im Fernsehen lässt sich der Konflikt eben besser darstellen als das alltägliche Leben. So läuft das Geschäft.

Allerdings sehe ich auch Tendenzen, die mich beunruhigen, wie beispielsweise die Dämonisierung des israelischen Ministerpräsidenten und der Regierung. Ich erinnere nur an die Karikaturen in einigen Zeitungen, in denen Benjamin Netanjahu als Giftmischer oder Taubenvergifter dargestellt wurde. Das ist inakzeptabel. So auch manche Heuchelei und Scheinheiligkeit. Ein Beispiel: In Syrien zählt man bereits mehr als 170.000 Tote, zwei bis drei Millionen Flüchtlinge. Darüber wird hier zu wenig gesprochen.

schlagzeilen Wenn Jerusalem jedoch den Bau von 1500 Wohneinheiten beschließt, dann macht das Schlagzeilen. Wer hätte sich vorstellen können, dass in Syrien – nicht weit von Europa entfernt – Kinder, Frauen und Männer mit Giftgas ermordet werden, ohne dass dazu eine deutliche Reaktion aus Deutschland kommt? Für Günter Grass, Jakob Augstein und andere ist das offensichtlich nicht von Bedeutung. Sie attackieren stattdessen Israel. Das scheint wie ein innerer psychologischer Mechanismus, der ihr Leben wohl einfacher macht. Aber das ist nicht normal. Ebenso wenig ist es normal, wenn sich hinter der Kritik an Israel Antisemitismus versteckt.

Ich jedoch betrachte das aus meiner ganz persönlichen Perspektive: Ich bin Jude, Israeli und Zionist. Ich glaube an das besondere Schicksal des jüdischen Volkes. Wir haben in den vergangenen 4000 Jahren viele Gegner und Feinde erlebt. Sie sind gekommen und wieder verschwunden – Anekdoten in den Geschichtsbüchern. Doch wir sind noch da. Ich bin Teil einer langen Geschichte des jüdischen Volkes, und darauf bin ich stolz. Und ich verstehe mich in gewissem Sinne auch als jüdischer Soldat. Ich kämpfe für das jüdische Volk. Ich bin Diplomat, meine Uniform sind Anzug und Krawatte.

unterstützung Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland ist Teil dieses Volkes. Wir erfahren von ihr viel Unterstützung, besonders vom Zentralrat. Aber wenn ich auf die ein oder andere Gemeinde schaue, bin ich der Meinung, dass es etwas zu viel Distanz gibt. Ihnen sage ich: Israel ist wichtig. Sehr wichtig. Ohne den jüdischen Staat hat jüdisches Leben in der Diaspora keine Zukunft. Das hat uns die Schoa gelehrt.

Dieses unvergleichliche Ereignis der Schoa spielt in den deutsch-israelischen Beziehungen eine wichtige Rolle. In jeder Hinsicht. Man betrachte zum Beispiel die ständig steigende Zahl israelischer Touristen, die Berlin besuchen: Sie sind neugierig auf diese lebendige Stadt, suchen aber auch eine Begegnung mit der Vergangenheit. Einkaufszentrum und Haus der Wannsee-Konferenz, Diskothek und Holocaust-Mahnmal. Das finde ich gut. Wir müssen immer mit einem Bein in der Vergangenheit und einem in der Zukunft stehen. Die Vergangenheit allein ist nicht genug.

All dies gehört zu den Beziehungen, die so viel mehr sind als »normale« bilaterale Beziehungen zwischen zwei Ländern. Es grenzt an ein Wunder, dass wir 70 Jahre nach der Schoa solch einen komplexen, tiefen und interessanten Dialog zwischen Deutschen und Israelis entwickelt haben. Es freut mich zu wissen, dass wir gute Partner und echte Freunde hier in Deutschland haben, dass wir nicht allein sind. Das ist wichtig. Trotz aller Schwierigkeiten und Herausforderungen: Ich verlasse Berlin mit einem sehr guten Gefühl.

Der Autor ist seit 2009 Gesandter der Botschaft des Staates Israel in Berlin.

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