Pegida

Alle sind bedroht

Dresden am vergangenen Montag: Kundgebung der »Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes« Foto: Reuters

Der rechte Hass scheint wieder zu Deutschland zu gehören. Zumindest tritt er spätestens seit einem Jahr, seit der Gründung von Pegida, wieder zunehmend aggressiv zutage. Dabei sollte man sich nicht täuschen lassen: Nur weil die selbsternannten Verteidiger des christlich-jüdischen Abendlands vorgeben, bloß gegen den Islam, die »Lügenpresse« und die »linksgrünversiffte Politik« zu kämpfen, ist man auch dann, wenn man zu keiner dieser Gruppen gehört, alles andere als sicher.

Das gilt auch für die Juden, die man bei Pegida und AfD vorgibt besonders schützen zu wollen. Der unsägliche Satz des Schriftstellers Akif Pirinçci von der jüngsten Pegida-Demo, als er unter Jubel von KZs sprach, die gerade außer Betrieb seien, lässt aber durchblicken, was diese Bekenntnisse im Ernstfall noch zählen dürften.

Die definierten Gegner der Neuen Rechten sind daher einzig als Stellvertreter zu verstehen. Sie stehen für alles, was Pegida, AfD und Co. zutiefst ablehnen: Minderheiten jeder Art, den manchmal zähen Meinungsstreit der Demokraten und die pluralistische, offene Gesellschaft insgesamt.

Das Gesellschaftsmodell, das sich die typischen Montagsspaziergänger und Hassbriefschreiber stattdessen vorstellen, lässt sich schon erahnen, wenn man schaut, wer hier gefeiert wird. Vor allem Wladimir Putin und Victor Orbán haben viele Anhänger – und deren Politik ist nicht nur zunehmend autoritär und homophob, nationalistisch und aggressiv, antiwestlich und antiliberal, sondern richtet sich auch gezielt gegen Minderheiten, seien es nun Muslime, Sinti und Roma oder Juden.

Putin Natürlich würden neurechte Vordenker wie Mitläufer gleichermaßen empört abstreiten, dass sie antidemokratische Zielsetzungen verfolgen. Weil sie wissen, dass ihnen diese Offenheit schaden würde. Sie deuten daher das Handeln von Putins Russland, Orbáns Ungarn – und ihr eigenes natürlich auch – in heroische Abwehrschlachten gegen den Islam, die überbordende Bürokratie, den Ausverkauf der Werte an sich um. Russland wird so plötzlich zum Hort der Freiheit, wo man noch Glühbirnen und Mentholzigaretten kaufen kann und wo man sich erfolgreich gegen übergriffige Homosexuelle zur Wehr setzt. Ungarn wird zum Bollwerk gegen den Islamismus. Und AfD, Pegida und Co. zum letzten Strohhalm derer, denen der »öffentlich-rechtliche Meinungsterror« den Mund verbietet.

Diese Logik hat einen nicht zu unterschätzenden Charme für diejenigen, die sie in die Welt tragen: Sie gerieren sich als Opfer, fabulieren von Notwehr – und wer würde bestreiten, dass man sich wehren darf, wenn man allzu sehr bedrängt wird? Auch der Attentäter von Köln hat seine Tat so begründet. Als Opfer glaubt man eben, sich alles erlauben zu dürfen.

Es wäre übrigens ein Fehler, den Grad der Bedrohung für die offene Gesellschaft alleine an den Zahlen der Teilnehmer an den Pegida-Demos oder den Umfrageergebnissen für die AfD festzumachen. Die Basis für einen langfristigen Erfolg des neurechten Gedankenguts sind nicht kurzfristige Wahlerfolge, sondern die Hoheit über den öffentlichen Diskurs. Um das Klima zu vergiften, braucht man keine Mehrheiten im Parlament, das wissen wir sowohl aus der Weimarer Republik als auch aus den frühen 90er-Jahren, als die Republikaner die Stimmung anheizten, aus der dann die Übergriffe von Lichtenhagen, Hoyerswerda, Solingen und Mölln hervorgingen.

Mauerfall Dabei bedient man sich heute nicht einfach als rechtsradikal erkennbaren Slogans. Aus »Ausländer raus« wurde etwa »Wir sind das Volk«, wie bei Pegida oft skandiert wird. Wer denkt da nicht zunächst an die frohen Stunden des Mauerfalls? Denkt man allerdings zu Ende, was dieser Satz heute bedeutet, muss man erschrecken. Denn was gegenüber einem autoritären Regime legitim sein mag, ist in einer Demokratie plötzlich der autoritäre Anspruch: »Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns.«

Vor diesem Hintergrund ist besonders richtig und wichtig, wenn gerade Juden sich von diesem Gedankengut nicht vereinnahmen lassen. Die historisch durchaus fragwürdige Formel vom »christlich-jüdischen Abendland«, missbraucht nun gar als Kampfbegriff – aus jüdischen Gemeinden ist sie nicht zu hören.

Nur die pluralistische, offene Gesellschaft ist in der Lage, auf Dauer Minderheitenrechte zu schützen. In jedem anderen System ist der effektive Schutz von zahlenmäßig unterlegenen Gruppen immer vom guten Willen der Mehrheit, von der schützenden Hand eines Despoten oder einiger Oligarchen abhängig. Dabei kann es jeden treffen – denn jeder von uns ist irgendwann einmal Minderheit.

Anders gesagt: Wir sind alle potenzielle Opfer des Gesellschaftsmodells, das AfD, Pegida und Co. anstreben. Jeder Angriff auf ein Flüchtlingsheim, jede volksverhetzende Äußerung im Internet, auch der feige Anschlag auf die neue Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker richtet sich gegen uns alle. Rücken wir also zusammen und zeigen, dass die offene Gesellschaft alles ist, aber kein Schwächling, der seine Feinde ohne Gegenwehr wüten lässt.

Der Autor ist Publizist in Hamburg (»Gefährliche Bürger«, 2015, mit Liane Bednarz).

Glosse

Auf, auf zum bewaffneten Kampf!

Eine deutsche Komikerin wechselte am Wochenende wieder einmal das Genre. Enissa Amani versuchte allen Ernstes, rund 150 Berlinern zu erklären, dass Nelson Mandela das Vorgehen der Hamas gegen Israel gutgeheißen hätte

von Michael Thaidigsmann  17.11.2025

Berlin

Bundesregierung hebt Stopp der Rüstungsexporte nach Israel wieder auf

Die Waffenruhe in Gaza hält seit mehr als fünf Wochen. Die Bundesregierung nimmt das zum Anlass, ihre massiv kritisierte Entscheidung aus dem Sommer rückgängig zu machen

von Michael Fischer  17.11.2025

USA

Kehrtwende? Trump empfiehlt Abstimmung über Epstein-Akten

Der Fall des Sexualstraftäters lässt den US-Präsidenten nicht los. Vor einer Abstimmung im Repräsentantenhaus gibt er einen überraschenden Rat an seine Partei

von Anna Ringle  17.11.2025

Extremismus

Beobachtungsstelle: Tausende christenfeindliche Straftaten in Europa

Europa gilt immer noch als christlicher Kontinent. Doch Experten warnen: Christen sind von einem Klima wachsender Intoleranz bedroht. Auch in Deutschland muss die Lage Besorgnis erregen

 17.11.2025

Judenhass

Charlotte Knobloch warnt: Zukunft jüdischen Lebens ungewiss

Die Hintergründe

 16.11.2025

Deutschland

Auktion von Besitztümern von NS-Opfern abgesagt

Im Online-Katalog waren unter anderem Dokumente und Post von NS-Verfolgten aus Konzentrationslagern sowie Täterpost zu finden

 16.11.2025 Aktualisiert

Meinung

Mit Martin Hikel geht einer, der Tacheles redet

Der Neuköllner Bürgermeister will nicht erneut antreten, nachdem ihm die Parteilinke die Unterstützung entzogen hat. Eine fatale Nachricht für alle, die sich gegen Islamismus und Antisemitismus im Bezirk einsetzen

von Joshua Schultheis  16.11.2025

Berlin

Merz verspricht Schutz jüdischen Lebens in Deutschland

Bei der diesjährigen Verleihung des Preises für Verständigung und Toleranz im Jüdischen Museum Berlin an Amy Gutmann und David Zajfman gab Bundeskanzler Friedrich Merz ein klares Versprechen ab

 16.11.2025

Meinung

Die Ukrainer brauchen unsere Hilfe

Die Solidarität mit ukrainischen Geflüchteten in Deutschland nimmt ab. Aus einer jüdischen Perspektive bleibt es jedoch wichtig, auch weiterhin nicht von ihrer Seite abzuweichen

von Rabbinerin Rebecca Blady  16.11.2025