Rückblende

1961: »Andorra« und seine Kritiker

Vorzeigejude: »Andorra«- Uraufführung in Zürich 1961 Foto: dpa

Rückblende

1961: »Andorra« und seine Kritiker

Unsere Serie über die Geschichte der Juden in Deutschland nach 1945: Folge 16

von Michael Brenner  05.02.2013 08:18 Uhr

Deutsche Dramatiker wagten sich erst spät an die Bühnenbearbeitung des Judenmords. Es war ein Schweizer, der die Thematik zumindest ansatzweise 1961 auf die Bühnen brachte. Max Frischs Drama Andorra entwickelte sich in den Jahren und Jahrzehnten danach zu einem der populärsten deutschsprachigen Bühnenstücke. Schon ein Jahr nach der Erstaufführung war es auf über 40 deutschen Bühnen zu sehen.

Andorra ist ein Lehrstück gegen Vorurteile, es propagiert Toleranz gegenüber den »Anderen«: Andri, der Protagonist des Stückes, wird von seinem Pflegevater als Jude ausgegeben und begegnet deswegen im Ort zahlreichen Vorurteilen. Ein kleines Problem gab es aber für diejenigen, die das Drama als Lehrstück über die Judenverfolgung betrachten wollten: Ein wirklicher Jude kam im ganzen Stück nicht vor. Der Judenmord war abstrahiert und zum Problem der gesamten Menschheit gemacht worden.

kreisler Frischs Andri war der Vorzeigejude par excellence: er wurde nur von seiner Umwelt dafür gehalten, war aber gar keiner. Denn meisten Lesern und Zuschauern fiel dies nicht weiter auf. Doch wer genau hinsah, konnte die Problematik des Dramas entdecken. So kritisierte Friedrich Torberg, dass sich Antisemitismus nicht dazu eigne, als Modell für jedes beliebige Vorurteil benutzt zu werden.

Der wie Torberg aus der amerikanischen Emigration nach Wien zurückgekehrte Kabarettist Georg Kreisler, der wohl scharfsinnigste deutschsprachige jüdische Humorist der Nachkriegsjahrzehnte, verfasste eine beißende Satire auf Frisch mit dem Titel Sodom und Andorra. Kreisler wies dort bereits früh auf die Gefahren des Philosemitismus hin. Sodom und Andorra mag nicht das künstlerisch Beste sein, das Kreisler je hervorgebracht hat. Aber sein Hörspiel bürstete die beginnende »Vergangenheitsbewältigung« sozusagen gegen den Strich. Die Kritiker allerdings verstanden das nicht und verrissen Kreislers Satire: Wie konnte man sich nur über Antisemitismuskritik lächerlich machen!

Nur wenig später karikierte mit Heinrich Böll ein bekannter deutscher Autor die oftmals opportunistischen Formen, die die neue christlich-jüdische Annäherung annahm. In dem Roman Ansichten eines Clowns (1963) des späteren Literaturnobelpreisträgers ist die Mutter des Protagonisten binnen weniger Jahre von der engagierten Nationalsozialistin zu einer Mitarbeiterin des »Zentralkomitees zur Versöhnung rassischer Gegensätze« mutiert. Im selben Jahr übrigens sorgte dann ein Stück, das sich tatsächlich mit der Schoa auseinandersetzte, für Furore: Rolf Hochhuths Stellvertreter, das die Rolle der katholischen Kirche und insbesondere des Papstes an den Naziverbrechen kritisch hinterfragte.

Antiisraelischer Beschluss

Linken-Spitze distanziert sich von Parteijugend

Die Linksjugend Solid wirft Israel unter anderem einen »kolonialen und rassistischen Charakter« vor – und löst in der Partei Empörung aus

 06.11.2025

Urteil

Betätigungsverbot für israelfeindlichen Aktivisten war rechtswidrig

Ghassan Abu-Sittah, der der israelischen Armee vorwirft, vorsätzlich Kinder zu töten, hätte auf dem »Palästina-Kongress« sprechen dürfen

 06.11.2025

Terrorismus

Nach Hamas-Festnahme: Waffenfund in Österreich

Der österreichische Verfassungsschutz stellte fünf Faustfeuerwaffen und zehn Magazine sicher

 06.11.2025

Gedenken

Neues Denkmal für jüdische Häftlinge in Gedenkstätte Ravensbrück

Etwa 20.000 Jüdinnen und Juden sind im ehemaligen Konzentrationslager Ravensbrück in Brandenburg inhaftiert gewesen. Die heutige Gedenkstätte hat nun ein neues Denkmal enthüllt - im Beisein von Überlebenden

von Daniel Zander  06.11.2025

Kommentar

Warum Zürichs Entscheid gegen die Aufnahme von Kindern aus Gaza richtig ist

Der Beschluss ist nicht Ausdruck mangelnder Menschlichkeit, sondern das Ergebnis einer wohl überlegten Abwägung zwischen Sicherheit, Wirksamkeit und Verantwortung

von Nicole Dreyfus  06.11.2025

Ehrung

»Wir Nichtjuden sind in der Pflicht«

Am Mittwochabend wurde Karoline Preisler mit dem Paul-Spiegel-Preis des Zentralrats der Juden in Deutschland ausgezeichnet. Wir dokumentieren ihre Dankesrede

 06.11.2025 Aktualisiert

Medien

So erzeugt man einen gefährlichen Spin

Wie das Medienunternehmen »Correctiv« den Versuch unternimmt, die Arbeit des israelischen Psychologen Ahmad Mansour fragwürdig erscheinen zu lassen

von Susanne Schröter  06.11.2025

Meinung

Wenn deutsche Linke jüdische Selbstbestimmung ablehnen

In einer Resolution delegitimiert die Linksjugend Israel als koloniales, rassistisches Projekt. Dabei ist der Staat der Juden nicht zuletzt eine Konsequenz aus den Verbrechen der Deutschen im Nationalsozialismus

von Frederik Schindler  06.11.2025

Ostdeutschland

AfD-Regierung als »Schreckensszenario«

Zehn Monate vor den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt wächst in den jüdischen Gemeinden die Sorge vor einem Sieg der AfD

von Joshua Schultheis  06.11.2025