Seit dreieinhalb Jahren kämpft die Ukraine gegen die russischen Invasoren an. Sie verteidigt dabei nicht nur ihr Staatsgebiet, sondern auch ihre nationale Identität.
Die Geschichte des Staates Israel bietet eine inspirierende und überzeugende Parallele. Denn auch Israel ist ein Land, das quasi im permanenten Belagerungszustand entstanden ist und doch mit jeder Prüfung stärker ist.
Der moderne Staat Israel wurde 1948 gegründet, wie ein Phönix aus der Asche, nur drei Jahre nach dem Ende der Schoa. Israel sah sich sofort mit der Weigerung seiner arabischen Nachbarn konfrontiert, seine Eigenstaatlichkeit anzuerkennen. Unmittelbar nach der Unabhängigkeitserklärung im Mai 1948 begannen sie einen Krieg, der das Ziel hatte, Israel zu vernichten. In den folgenden Jahrzehnten kamen weitere existenzielle Konflikte hinzu, unter anderem der Sinai-Krieg 1956, den Sechstagekrieg von 1967, der Jom-Kippur-Krieg 1973, eine Reihe von Auseinandersetzungen im Libanon und zuletzt der Gaza-Krieg.
Rasantes Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum nach 1948
Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen hat Israel überlebt. Mehr noch, es ist zu einer blühenden Nation geworden. Von 1948 bis heute hat sich seine Bevölkerung mehr als verzehnfacht. Sukzessive Einwanderung – erst durch Holocaust-Überlebende, später aus arabischen Ländern vertriebene Juden, schließlich Einwanderer aus Äthiopien, der ehemaligen Sowjetunion und Osteuropa (der Autor war einer von ihnen) – schufen eine vielfältige Gesellschaft, die schnell und immer mehr aufblühte.
Das Bruttoinlandsprodukt Israels pro Kopf stieg von 5000 US-Dollar im Jahr 1948 (nach heutiger Kaufkraft) auf über 40.000 US-Dollar im 2024. Das geschah nicht zuletzt, weil Israel stets in technologischen Fortschritt investierte und 2023 mit 5,6 Prozent des BIP weltweit den ersten Platz bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung einnahm.
Mit dem Aufblühen der Innovation reiften auch die demokratischen Institutionen. Es entstand ein widerstandsfähiger Nationalgeist. Diese Entschlossenheit, allen Widrigkeiten zum Trotz zu überleben, kommt vielleicht am besten in den Worten der legendären israelischen Ministerpräsidenten Golda Meir zum Ausdruck: »Wir haben in unserem Krieg mit den Arabern eine Geheimwaffe: Wir haben keine Alternative.« Dieses Gefühl der historischen Unausweichlichkeit, zusammen mit einer Kultur der Bildung, Initiative und kollektiven Verantwortung, trug dazu bei, das zu formen, was viele als den »gestählten Nationalcharakter« Israels ansehen.
Russland versucht, die ukrainische Sprache und Kultur auszulöschen
Auch die Ukraine ist seit langem mit Herausforderungen für ihre Souveränität konfrontiert. Russlands Präsident Wladimir Putin erklärte kürzlich auf dem Internationalen Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg: »Die gesamte Ukraine gehört uns.« Er wiederholte damit seine Aussage gegenüber US-Präsident George W. Bush aus dem Jahr 2008, dass »die Ukraine nicht einmal ein richtiger Staat ist«.
Putins Haltung spiegelt eine langjährige imperiale und sowjetische Tradition wider, die ständig versucht hat, die ukrainische Sprache, Kultur und Autonomie zu untergraben. Im 19. Jahrhundert wurde mit dem Walujew-Gesetz und dem Emser Erlass versucht, die ukrainische Sprache auszulöschen.
Die religiöse Eigenständigkeit der Ukraine war seit der Unterstellung des Kiewer Metropoliten unter die Autorität Moskaus im Jahr 1686 ständigen Angriffen ausgesetzt. Unter Stalin fanden diese Maßnahmen ihren brutalsten Ausdruck im Holodomor, der Hungersnot von 1932/33. Es war eine von Menschen verursachten Katastrophe, die nicht nur darauf abzielte, die ukrainische Kultur zu unterwerfen, sondern das ukrainische Volk selbst zu vernichten. Millionen Ukrainer kamen im Holodomor ums Leben.
Doch wie Israel weigerte sich die Ukraine standhaft, einfach zu verschwinden. Ihre Kultur überlebte. Ihre Kirche hielt durch. Ihr Volk behielt die Erinnerung. Als die Sowjetunion 1991 zusammenbrach, erlangte die Ukraine ihren rechtmäßigen Platz auf der Weltkarte zurück. Seit Jahrzehnten ist das Land zwischen seiner sowjetischen Vergangenheit und seinen europäischen Ambitionen, zwischen endemischer Korruption und Investitionsversprechen hin- und hergerissen.

Heute, inmitten riesiger Herausforderungen, befindet sich die Ukraine in einem rasanten Umbruch. Der Krieg hat politische Klarheit erzwungen. Er hat eine viel stärkere nationale Identität entstehen lassen, als das unter anderen Umständen der Fall gewesen wäre. Die Vertreter der Ukraine in internationalen Organisationen verteidigen ihr Land mit einer Stimme.
Unerschütterliche Resilienz
Und auch die Innovation im Rüstungsbereich schreitet rasant voran. In diesem Jahr will die Ukraine mehr als vier Millionen Drohnen produzieren. Sie sollen bislang von Menschen durchgeführte Aufgaben von der Minenlegung bis zum Scharfschützen durch robotergestützte Lösungen ersetzen. Die internationale Einbindung der Ukraine wird immer enger. Sie ist auf dem besten Weg, vergleichsweise rasch der Europäischen Union beizutreten, was vor ein paar Jahren noch undenkbar gewesen wäre.
Wenn die Erfahrungen Israels etwas lehren, ist es, dass unerschütterliche Resilienz im Angesicht existenzieller Gefahren einen nationalen Erneuerungsprozess in Gang setzen kann. Jeder Tag dieses Krieges macht die Ukraine stärker. Es wird immer wahrscheinlicher, dass sie sich zu einer zukunftsorientierten und strategisch wichtigsten Nationen Europas entwickeln wird.
Der Autor ist bulgarisch-israelischer Unternehmer und Politiker. Er ist Mitglied der bulgarischen Nationalversammlung. Von 2021 bis 2022 war Daniel Lorer Bulgariens Minister für Innovation und wirtschaftliches Wachstum.