Dass viele Gründungsmitglieder des Frankfurter Instituts für Sozialforschung wie Max Horkheimer, Herbert Marcuse, Erich Fromm, Walter Benjamin oder Theodor W. Adorno jüdischer Herkunft waren, ist zwar allgemein bekannt, doch wird diese Tatsache oft marginalisiert. Sie gilt eher als biografischer Zufall und nicht als prägende Einflussgröße ihres Denkens.
Jedoch zeigt die Literaturwissenschaftlerin Yael Kupferberg in ihrer Horkheimer-Studie, wie tief das jüdische Bilderverbot in die Kritische Theorie eingeschrieben ist. Nicht nur als theologisches Prinzip, sondern als Modus der Erkenntnis. Es ist eine Negation der Eindeutigkeiten, der Idole und falschen Bilder. Dies zielt darauf ab, die Grenze zwischen Subjekt und Objekt zu wahren und sie nicht ideologisch verschmelzen zu lassen. Denn Wahrheit entzieht sich der Festschreibung und bleibt in der Unschärfe wie eine Amöbe auf der Netzhaut. Immer wenn man versucht, sie zu fokussieren, gleitet sie wieder in den Augenwinkel.
Das Jüdische bleibt in der gegenwärtigen Kritischen Theorie doch oft eine Leerstelle oder verkommt gar zum Feindbild.
Gerade dieser Mut zur Unschärfe fehlt mir, wenn ich heutige Texte lese, die sich auf Kritische Theorie berufen. Vertreterinnen und Vertretern der Critical Race Theory, die sich in ihrer Nachfolge sehen, folgen einem anderen Impuls. Sie setzen auf Affirmation. Lucius Outlaw etwa fordert eine positive Theorie von »race«, die marginalisierte Identität als Quelle von Stolz und Widerstand affirmiert. Sichtbarkeit und Repräsentation wurden so zu neuer politischer Praxis. Aus dem Bilderverbot wurde eine Sichtbarkeitspflicht und aus der Dekonstruktion falscher Bilder die Konstruktion eigener Bilder.
Das Jüdische bleibt in dieser Praxis doch oft eine Leerstelle oder verkommt gar zum Feindbild. Dennoch ist hier eine Rückbesinnung auf das Jüdische in der Kritischen Theorie nicht identitätspolitisch gemeint, sondern als Angebot der Versöhnung. Ich fordere nicht, jüdische Theorie über andere zu stellen, sondern ihr Potenzial und sogar ihre Notwendigkeit für radikale Kritik wieder anzuerkennen und neu zu beleben.
Der Autor studiert Philosophie in Berlin. Dieser Text ist zuerst bei EDA erschienen, dem Magazin der JSUD. Mehr Informationen finden Sie auf der Website oder dem Instagram-Kanal von EDA.