Manche Bilder brennen sich ins Herz, ohne dass man sie je gesehen haben muss. Eine Mutter, die den Namen ihres Sohnes flüstert – zum hundertsten Mal, ohne Antwort.
Ein Vater, der jeden Tag hofft, dass das Handy klingelt – und doch nichts hört. Ein leerer Stuhl am Schabbat-Tisch. Ein Foto, das man nicht loslassen kann. Seit dem 7. Oktober lebt Israel im Ausnahmezustand.
Seit dem 7. Oktober lebt ein Teil der jüdischen Welt im Schatten des Unaussprechlichen. Und wir – das assyrische Volk – schauen nicht von außen zu. Wir spüren mit. Tief. Denn euer Schmerz ist auch unser Schmerz. Wir wissen, wie es ist, wenn Kinder verschwinden und niemand kommt.
Wir wissen, wie es ist, wenn man seine Toten nicht beerdigen darf. Wir wissen, wie es ist, wenn Nachbarn plötzlich Waffen tragen – und der Welt das Wort »Konflikt« genügt, um zu schweigen. Wir sind die Assyrer. Ein uraltes Volk des Nahen Ostens, heute weitgehend heimatlos.
Wir sprechen eine Sprache, die Jesu Muttersprache war – aber sie droht zu verstummen. Wir gehören einer christlichen Minderheit an, die im 20. und 21. Jahrhundert in Anatolien, im Irak und in Syrien massakriert wurde – weil wir anders glauben, anders sprechen, anders leben.
Auch unsere Mütter flüstern Namen. Auch unsere Kinder sind verschleppt worden. Auch unsere Kirchen sind verbrannt. Aber anders als ihr haben wir bis heute keinen Staat. Kein Asyl im eigenen Land. Keine Armee, kein Dach, kein Schutz.
Was Israel für das jüdische Volk ist, das wünschen wir uns in kleiner Form: eine autonome Region in der Ninive-Ebene, unter internationalem Schutz. Nicht aus politischem Kalkül. Sondern als letzte Hoffnung, dass unser Volk nicht von der Landkarte verschwindet.
Darum stehen wir heute an eurer Seite. Nicht, weil wir dieselbe Religion teilen, sondern weil wir denselben Schmerz verstehen. Weil wir das Muster erkennen: Entmenschlichung, Dämonisierung, Rechtfertigung – bis Gewalt als »Widerstand« gefeiert wird.
Das hat auch uns das Leben gekostet. Und heute kostet es euch das Leben. Wenn Terroristen Videos veröffentlichen, in denen israelische Geiseln gezwungen werden, ihr eigenes Grab zu schaufeln – dann sehen wir nicht nur euch. Wir sehen auch uns.
Wir sehen, was Menschen anderen Menschen antun können. Und wir wissen, wie sich das anfühlt. Deshalb sagen wir heute laut und klar: Unsere Solidarität gehört Israel. Den Entführten. Den Ermordeten. Den Überlebenden. Den Trauernden. Sie gehört aber auch dem jüdischen Volk weltweit, das sich wieder einmal rechtfertigen muss, warum es existieren will.
Wir rufen Kirchen, Vereine, Medien und politische Institutionen auf, deutliche Worte zu finden: Terror ist kein »Narrativ«. Entführungen sind kein Protest. Und wer das Töten von Juden entschuldigt, stellt sich außerhalb der Menschlichkeit. Wir Assyrer wissen, was es heißt, vergessen zu werden. Darum vergessen wir euch nicht.
Der Autor ist Vorsitzender des Assyrischen Kulturvereins Saarlouis