Meinung

Wenn Nächstenliebe zynisch wird

Tobias Kühn Foto: Gregor Matthias Zielke

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Wenn Nächstenliebe zynisch wird

In einer Erklärung überzieht der Weltkirchenrat Israel mit Vorwürfen, erwähnt die Hamas aber mit keinem Wort. Eine Einseitigkeit, die zum Himmel schreit

von Tobias Kühn  26.06.2025 16:54 Uhr

Der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖKR), auch Weltkirchenrat genannt, bezeichnet Israels Politik als »Apartheid-System« und stellt in den Raum, es werde in Gaza möglicherweise ein »Genozid« begangen. In einer Erklärung zum Abschluss einer einwöchigen Tagung in Johannesburg heißt es: »Wir nehmen das von Israel dem palästinensischen Volk auferlegte System als Apartheid wahr, das gegen das Völkerrecht und das moralische Gewissen verstößt, und prangern es an.«

Die Lage der Menschen in Gaza ist schrecklich, das steht außer Frage. Und es gibt berechtigte Kritik an der israelischen Kriegsführung. Aber was hat dieses Kirchengremium geritten, dass es in einem solchen Abschlussdokument mit keinem Wort neben Israel auch die Hamas erwähnt? Die Terrororganisation tyrannisiert die Bevölkerung im Gazastreifen, benutzt Zivilisten als menschliche Schutzschilde, ermordet ihre Kritiker, hält unter unmenschlichsten Bedingungen israelische Geiseln gefangen – und die Weltkirche schweigt dazu? Die Einseitigkeit dieses Dokuments schreit zum Himmel!

Allein Israel anzuprangern ist verlogen, einseitig und dadurch antisemitisch.

Spricht man mit Christen im Westjordanland, hört man hinter vorgehaltener Hand immer wieder, dass sie Angst vor Islamisten haben, ja panische Angst vor der Hamas. Die Johannesburger Erklärung greift dies mit keiner Silbe auf. Das mag rücksichtsvoll sein gegenüber den Christen in Nahost, denn man möchte sie nicht gefährden. Allein Israel anzuprangern, hilft ihnen aber auch nicht, vielmehr ist es verlogen, einseitig und dadurch antisemitisch.

Der Vorsitzende des Weltkirchenrats, der frühere bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, verteidigt den Abschlusstext. Mit Antisemitismus habe der Beschluss nichts zu tun, erklärt der Kirchenmann in einem Statement und schreibt von »universalistischen Werten« wie der »unbedingten Solidarität mit Jüdinnen und Juden in aller Welt, die jetzt wegen des Handelns der israelischen Regierung antisemitischen Angriffen ausgesetzt sind«. Aha, die Juden sind also wieder einmal selbst schuld am Antisemitismus. Wie zynisch! Und auch hier wieder: kein Wort von der Hamas. 

kuehn@juedische-allgemeine.de

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