Die Bilder aus Sydney, die am 14. Dezember um die Welt gingen, waren grauenhaft. Einmal mehr unscharfe Handykamera-Aufnahmen, die scharf genug waren, dass sie sich ins Gedächtnis einbrannten. Die Menschen rannten voller Verzweiflung in alle Richtungen, rannten um ihr Leben, verloren ihr Leben.
Die toten Menschen am Bondi Beach am Boden liegend erinnerten an die ermordeten Menschen des Nova Festival am 7. Oktober. Auch sie wollten nichts anderes als feiern und singen – also eigentlich nur jener Beschäftigung nachgehen, der vermutlich jeder Mensch auf dieser Welt nachsinnt: sich des Lebens erfreuen. Es kommt nicht darauf an, ob am Strand, in der Wüste oder sonst wo.
Es spielt auch keine Rolle, ob dies an einen Festtag gekoppelt ist oder nicht. Zu feiern und mit geliebten Menschen Zeit zu verbringen, ist einfach nur normal, einfach nur menschlich. Aber nicht nur die Menschen am Bondi Beach wurden aus dem Normalzustand auf brutale Art und Weise herausgerissen. Mit ihnen auch wir, die gebeugt über unsere Bildschirme diese Aufnahmen in uns einfließen ließen, entsetzt ob der Brutalität und gleichzeitig konzentriert darauf, keine Information zu verpassen, die mit diesem Gewaltakt in Zusammenhang stand.
Bei jedem Attentat erfolgt das gleiche Ritual, das schon fast zur Normalität geworden ist: Wir oszillieren zwischen dem Verarbeiten der Schreckensnachrichten und dem Fokussieren auf Herkömmliches und den eigenen Mikrokosmos unserer persönlichen Befindlichkeiten. Dieses Ritual ist unser einziger Ausweg, dem Strudel belastender Nachrichten zu entkommen – stets im Wissen, dass wir es irgendwie doch schaffen werden.
Die Fähigkeit, sich an wechselnde gesellschaftliche Bedingungen anzupassen, ohne den eigenen Kern zu verlieren, ist ein wesentliches Merkmal jüdischer Resilienz.
Das Judentum besteht allen Herausforderungen und Unkenrufen zum Trotz weiter. Nein, auch Jüdinnen und Juden sind es nicht gewohnt, diese Rückschläge zu ertragen. Wie alle anderen Menschen verlangen diese auch ihnen Unmengen an Kraft ab. Mit jeder sich öffnenden Wunde wird neuer Schmerz freigesetzt. Wir alle müssen immer aufs Neue mit diesen Wunden zu leben versuchen. Die Wunden verheilen nie ganz. Trotzdem rücken sie irgendwann in den Hintergrund, weil wir gezwungen sind, nach vorne zu schauen, weil wir weiter bestehen müssen.
In 5000 Jahren ist es den Juden immer wieder gelungen, weiterzumachen. Niederlagen hatten sie genug im Gepäck. Dennoch: Die Gefährdung von außen hat nie dazu geführt, dass die jüdische Identität je aufgegeben wurde. Externe Einflüsse wie Verfolgung, Angst und Tod hatten bewirkt, dass jüdische Menschen neue Strategien entwickelten, um zu überleben. Sie wählten vielleicht die Taufe oder die Assimilation.
Trotz wiederholter Verfolgung, Vertreibung und Diskriminierung – von der Zerstörung des Tempels in Jerusalem über das Exil, Pogrome und die Shoah bis hin zu modernem Antisemitismus – bewahrte das jüdische Volk seine Kultur und seinen Glauben. Damit gab es sich und seine jüdische Identität nie auf. Man reichte Werte und lebte Traditionen weiter, unabhängig von seiner Religiosität. Zentral für diese Widerstandskraft waren Bildung, gemeinschaftlicher Zusammenhalt und die Weitergabe von Geschichte und Geschichten über Generationen hinweg.
Die Fähigkeit, sich an wechselnde gesellschaftliche Bedingungen anzupassen, ohne den eigenen Kern zu verlieren, ist daher ein wesentliches Merkmal jüdischer Resilienz. Auch die Gründung des Staates Israel 1948 stellt einen Ausdruck dieser Stärke dar: Sie symbolisiert Selbstbestimmung nach der größten Tragödie der jüdischen Geschichte. Bis heute zeigt sich die Resilienz des jüdischen Volkes im Eintreten für die Gemeinschaft, für Freiheit und letztendlich einfach im Weitermachen. Wir haben keine andere Wahl.
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