Am vergangenen Montag war ich so euphorisch wie das Video des israelischen Popstars Yoni Bloch aus dem Januar. »Sof tov« (Happy End) zeigte revolutionäre Träume: Alle Geiseln kommen auf einmal nach Hause, im Nahen Osten herrscht Frieden, Israelis können mit dem Zug nach Ägypten fahren und mit dem Auto nach Syrien, europäische Pässe sind nicht mehr nötig und auch nicht der Dienst in der Armee, israelische und iranische Judokas umarmen sich, Israel spielt im Fußball World Cup, die »Bring them home«-Poster werden abgenommen und auch die gelben Schleifen am Revers …
In der Realität haben viele Menschen seit dem 13. Oktober, dem Tag, als die letzten lebenden 20 Geiseln aus Gaza nach Israel gebracht wurden, die kleinen gelben Pins abgelegt. Allen voran Knesset-Sprecher Amir Ohana, der mit dieser Geste US-Präsident Donald Trump begrüßte, der die Waffenruhe und die Geiselbefreiung möglich gemacht hatte. Lächelnd nahm er die gelbe Schleife ab, zum Entsetzen der Angehörigen der Geiseln, deren Leichen weiterhin in Gaza sind, wo die Hamas die Menschen ermordet oder wohin ihre Leichen verschleppt wurden.
Das Träumen war so bitter nötig nach zwei Jahren der Angst, der Wut und der Trauer. Leben ist möglich, Frieden ist möglich. Aber ich kann die, die ihre Kinder, Geschwister, Eltern oder Partner nicht in die Arme schließen durften, bei aller Euphorie nicht vergessen. Nach dem Durchatmen muss ich weiter hinter den Geiselangehörigen stehen. So wie ich hinter der Familie des jungen Bildungsoffiziers Tamir Nimrodi gestanden habe.
Kein Lebenszeichen
Seitdem der 18-Jährige am 7. Oktober 2023 von der Hamas nach Gaza verschleppt wurde, gab es kein einziges Lebenszeichen von ihm. Sein Vater, Alon Nimrodi, lebte nur noch für den Kampf um Tamir. »Nein, ich kann nachts nicht schlafen, mein Körper kollabiert von Zeit zu Zeit einfach. Aber nach drei Stunden schrecke ich wieder hoch«, sagte er im Januar 2024 bei einem Besuch in Berlin im Gespräch mit der »Jüdischen Allgemeinen«. Sein Schmerz ist nicht vorstellbar. Seit zwei Jahren.
Seit vergangenem Mittwoch wird Tamir für immer 18 bleiben. Die Hamas gab seinen Leichnam zurück. Nach 740 Tagen wurde Tamir Nimrodis Tod bestätigt. Er wurde, wie zwei seiner ebenfalls verschleppten Kameraden, in Gefangenschaft getötet.
Inmitten ihres unermesslichen Leids gab seine Familie – Alon, Tamirs Mutter Herut und die beiden Schwestern Mika und Amit - bekannt, dass sie sich glücklich schätzen könnten, dass es einen Abschluss gibt, so tragisch dieser ist. Sie können ihren Sohn und Bruder beerdigen, anders als andere Angehörige. Weshalb Alon Nimrodi am selben Tag in einer hochemotionalen Ansprache feststellte: Der Kampf ist erst vorbei, wenn alle toten Geiseln nach Israel zurückgebracht worden sind.
Solange es noch Geiseln in Gaza gibt, werde ich meinen Pin nicht abnehmen. Für die, die seit dem 7. Oktober dafür kämpfen, dass alle Geiseln nach Hause kommen, die Tag für Tag, Woche für Woche auf die Straße gehen und um die Welt reisen, um auf das Schicksal der Geiseln aufmerksam zu machen. Ich schulde ihnen meinen Kampf, meinen Dank, dafür, dass sie seit zwei Jahren alles tun, damit auch ich endlich trauern, endlich heilen darf. Damit auch die nächste Generation weiß, dass all das nicht umsonst war. Damit sie weiß, dass niemand zurückgelassen wird.