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Regime Change im Iran? Totgesagte leben länger

Im vergangenen April jährte sich das 46. Jubiläum der Errichtung der Islamischen Republik Iran. Sie bedeutet nicht nur eine Zäsur in der geopolitischen Konfiguration des Nahen Ostens – mit all seinen Konflikten und menschlichem Leid – sondern die Islamische Revolution von 1978-1979 hinterlässt auch tiefe und persönlichere Spuren außerhalb der Grenzen der Region. Die Nachkommen der Exiliraner, wie meinesgleichen, verdanken gar ihre Existenz dem Umsturz der Monarchie.

Viele von uns sind von klein auf mit Geschichten der Verbrechen des neuen Regimes in den ersten zehn Jahren aufgewachsen: Von den grausamen Hinrichtungen im Schnellverfahren politischer Dissidenten bis hin zum Massaker politischer Gefangener 1988, aber auch die Einschränkung der Meinungs- und Religionsfreiheit, um nur ein paar Beispiele zu nennen.  

Es ist daher mehr als verständlich, dass die Möglichkeit eines Umsturzes der Mullahs durch die Beteiligung der USA im Israel-Iran Krieg Hoffnungen in der iranischen Diaspora weckt – Hoffnungen, die nicht zwangsweise die Mehrheit der Iraner im Inland teilen und von Beobachtern im Ausland mit Sorge betrachtet werden.

Denn dem leidenschaftlichen Freiheitswillen der iranischen Diaspora stehen die Bedenken der Einwohner des Landes entgegen. Es sind sie und nicht die großen Zentren der Exiliraner von Köln bis Los Angeles, die mit den Konsequenzen eines Umsturzes vor Ort leben müssen. Auch jene, die dem Regime feindlich eingestellt sind wissen, dass eine erneute Revolution durchaus schlimmeres hervorrufen kann.

Wie nach 1979 wäre bei einem Regimewechsel die Integrität des Staatsgebietes gefährdet. In einem Land, in welchem die Perser nur ungefähr 60 Prozent der Bevölkerung stellen, wäre das entstandene Chaos ein Nährboden für Separationsbewegungen von den Belutschen im Südostiran (Sistan und Belutschistan) und der aserbaidschanisch-türkischen Bewegung im Nordwestiran bis nach Kurdistan. Wie im Iran-Irak-Krieg von 1980 bis 1988, welcher hunderttausende Todesopfer auf iranischer Seite forderte, könnte der Irak die Gelegenheit dazu nutzen, erneut Gebietsansprüche gegen Teheran zu stellen.

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Es wäre auch denkbar, dass die Taliban ihre Aktivitäten über die afghanisch-iranische Grenze hinaus ausweiten würden. Die Ausweitung des Krieges könnte neben dem erhofften Ende der Islamischen Republik auch im Ausland weitreichende Nebenwirkungen haben. Trotz der Entfernung von über 3000 km Luftlinie würde zum Beispiel die Schließung der Straße von Hormus den Weltölpreis massiv steigen lassen und in Deutschland die Industrieproduktion noch teurer machen als sie seit dem Ukraine-Krieg bereits ist.

Im Kontext der prekären innen- aber auch außenpolitischen Lage der Bundesrepublik könnte dies auch hierzulande drastische Folgen haben. Diese Eventualitäten erklären mit Sicherheit das Zögern vieler israelischer Beobachter zu Beginn des Krieges einer maximalistischen Forderung nach einem Regime Change beizupflichten.

Bei allem militärischen Geschick ist der Handlungsspielraum der Israelis aufgrund der Entfernung und dem Größenunterschied zum Iran, welches über 75-mal größer ist, beschränkt. Auch der Kriegseintritt der USA bedeuten nicht automatisch einen regime change in Richtung Demokratie. Für viele Beobachter des Irans war und ist ein gewaltsames Ende der Islamischen Republik das wahrscheinlichste Szenario, denn in einer Theokratie gibt es keine Gorbatschows.

Ein klar definierter Handlungsplan für ein Iran nach Ayatollah Chamenei unter Berücksichtigung aller Elemente der Bevölkerung und nicht nur pro-westlicher Bildungseliten in Teheran, welche medial überrepräsentiert sind, ist nötig, damit aus einer Utopie von 46 Jahren ein Traum und kein Albtraum wird. Denn Totgesagte leben bekanntlich länger.  

Dr. Nathan Peres ist promovierter Nahosthistoriker der Sorbonne Université und ehemaliger Postdoktorand in Politikwissenschaften an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Er ist ferner diplomierter Iranist an der Universität Hamburg sowie Politikwissenschaftler an der Reichman Universität in Israel.

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