Joshua Schultheis

»Nur Spaß«, sagt der Brandstifter

Joshua Schultheis Foto: Charlotte Bolwin

Joshua Schultheis

»Nur Spaß«, sagt der Brandstifter

Der Comedian Nizar missbraucht Kurt Tucholsky, um Judenhass zu legitimieren

von Joshua Schultheis  18.08.2022 10:27 Uhr

In seiner Bühnenshow »Shitstorm« bedient sich der Stand-up-Comedian Nizar sämtlicher antisemitischer Vorurteile: Die Juden seien geldgierig und hinterhältig. Die Juden hätten große Nasen und »die ultimative Macht«. Sie nutzten den Holocaust, um sich gegen jede Kritik zu immunisieren, und kämen so mit allem davon – selbst, wenn sie Kinder und Frauen töten. Die Aufzeichnung dieser geradezu lehrbuchhaften Aneinanderreihung von allem, was Juden jemals angehängt wurde, verzeichnet allein auf YouTube bisher 150.000 Zugriffe.

»Ich mach’ nur Spaß«, sagt Nizar während seiner Show immer wieder, um seine judenfeindliche Kolportage als Satire auszugeben. Denn »Satire darf alles«, glaubt er – und entblödet sich nicht, in einem Video, das er unlängst in Reaktion auf seine Kritiker in den sozialen Medien veröffentlichte, ausgerechnet Kurt Tucholsky zu zitieren. Nicht nur zieht Nizar hier einen jüdischen Schriftsteller, der von den Nazis verfolgt wurde, heran, um Juden- und Holocaustwitze zu rechtfertigen. Tucholskys Diktum, Satire dürfe alles, versteht er außerdem grundlegend falsch.

Der Satiriker »will die Welt gut haben« und rennt daher »gegen das Schlechte an«, schreibt Tucholsky. Dagegen rennt Nizar vor allem gegen eins an: das Tabu, bedrohte und diskriminierte Minderheiten zu diffamieren.

Die Satire »bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird«, schreibt Tucholsky 1919 in einem kurzen Essay. Dabei dürfe und müsse sie zuspitzen und sogar »boshaft« sein. Doch welcher Wahrheit könnte es dienen, das Bild des raffenden Juden zu verbreiten? Was Nizar mit seinen Witzen aufbläst, ist das Gegenteil des von Tuchol­sky Intendierten: nämlich die Lüge und das Vorurteil. Satire im Sinne Tucholskys ist etwas ganz anderes.

Geschmacklosigkeit Der Satiriker »will die Welt gut haben« und rennt daher »gegen das Schlechte an«, schreibt Tucholsky weiter. Dagegen rennt Nizar vor allem gegen eins an: das Tabu, bedrohte und diskriminierte Minderheiten zu diffamieren – neben Juden trifft es in seiner Show auch Ausländer, Homo- und Transsexuelle. Der Satiriker, wie ihn Tucholsky sich vorstellt, zeichnet sich durch Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeitsstreben aus. Nur unter dieser Prämisse darf Satire alles. Mehr noch: Fehlt sie, ist es gar keine Satire mehr – sondern bestenfalls Geschmacklosigkeit und schlimmstenfalls geistige Brandstiftung.

Letzteres trifft auf die »Witze« Nizars zu. In den Kommentarspalten unter seiner Videobotschaft lässt er unwidersprochen antisemitische Hasskommentare zu – und goutiert einige davon sogar mit einem Like. Damit wankt auch das Argument derjenigen, die Nizars Judenwitze als Satire verteidigen, man müsse zwischen Person und Bühnenrolle unterscheiden. Bei Nizar ist diese Unterscheidung offenbar hinfällig geworden.

Kommentar

Der »Tages-Anzeiger« und das Geraune von der jüdischen Lobby

Die Zeitung unterstellt, erst eine Intervention des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes habe zur Absage einer Veranstaltung mit Francesca Albanese durch die Uni Bern geführt. Dabei war die Intervention richtig

von Michael Thaidigsmann  15.09.2025

Meinung

Lasst uns nicht allein!

Nach dem Canceln von Lahav Shani durch das Flandern-Festival in Gent befürchtet Maria Ossowski, dass Juden Europa jetzt verlassen wollen

von Maria Ossowski  11.09.2025

Meinung

Gent: Boykottiert die Boykotteure!

Dass die Münchner Philharmoniker in Gent nicht auftreten dürfen, weil sie mit Lahav Shani einen israelischen Dirigenten haben, ist eine Schande - und erfordert eine deutliche Antwort deutscher Kulturschaffender

von Michael Thaidigsmann  10.09.2025

Meinung

Wenn Wutausbrüche Diplomatie ersetzen

So verständlich der Frust ist, tut sich Israels Regierung mit ihrer aggressiven Kritik an westlichen Regierungen und ihren Einreiseverboten für europäische Politiker keinen Gefallen

von Michael Thaidigsmann  08.09.2025

Meinung

Bitte mehr Sorgfalt, liebe Kollegen!

Weltweit haben Medien die Geschichte verbreitet: In Gaza sei ein hilfesuchendes Kind von Israelis erschossen worden. Es stimmt nur nicht, wie sich nun herausstellt. Von professionellen Journalisten darf man eigentlich mehr erwarten

von Susanne Stephan  08.09.2025

Essay

Das Gerücht über Israel

Die Geschichte des Antisemitismus ist eine Geschichte der Lüge. Was früher dem Juden als Individuum unterstellt wurde, wird nun Israel als Nation vorgeworfen

von Daniel Neumann  06.09.2025 Aktualisiert

Meinung

Einseitig, fehlerhaft, selbstgerecht

Die »International Association of Genocide Scholars« bezichtigt Israel des Völkermords. Die Hamas spricht sie von jeder Verantwortung für die Lage in Gaza frei. Eine Erwiderung

von Menachem Z. Rosensaft  05.09.2025

Meinung

Vuelta-Radrennen: Israelhasser ohne Sportsgeist

Bei der spanischen Radtour ist der israelische Rennstall Ziel von Störaktionen. Nun forderte der Rennleiter das Team auf, nicht mehr anzutreten. Wenigen Fanatiker gelingt es, Israel vom Sport auszuschließen - wie so oft in der Geschichte

von Martin Krauss  04.09.2025

Kommentar

Gaza: Das falsche Spiel der Vereinten Nationen

Die UN ist kein neutraler Akteur im Gazakrieg. Ihre Vertreter scheuen sich nicht, irreführende Zahlen in Umlauf zu bringen und die Hamas als legitime politische Kraft zu präsentieren

von Jacques Abramowicz  03.09.2025