Am Morgen, nachdem die USA ihre bunkerbrechenden Bomben über Irans Nuklearanlagen in Fordo und Natanz abgeworfen hatten, spielte ich Fußball. Das jährliche Freizeitturnier des jüdischen Sportverbands Maccabi Schweiz fand am heißesten Sonntag des Jahres am Stadtrand von Zürich statt. Die Kinder in ihren eigenen Mannschaften versorgt, kickte ich in einem Frauenteam mit sechs Freundinnen um den Pokal.
Gleich vorweg: Wir gewannen nicht, aber darum ging es auch nicht. Es ging ums Spielen und die Freude am Sport. Ein großes Fest, das Menschen versammelt, fernab von Krieg, den stündlichen Nachrichten zum Raketenbeschuss und den Bildern der Zerstörung.
Für ein paar Stunden ließ ich mein Telefon in der Tasche vor sich hin vibrieren und damit auch die Versuchung dort liegen, regelmäßig das neuste Tagesgeschehen auf mich einprasseln zu lassen.
Wenn auch nicht auf dem Spielfeld, so dann in den Pausen beschlich mich zwischendurch das Gefühl, wie es denn überhaupt sein kann, dass wir hier in großer Menge versammelt ausgelassen ein jüdisches Sportfest feiern, während die Menschen in Israel im Zehn-Minuten-Takt in den Bunker rennen müssen, um danach nicht zu wissen, ob das eigene Haus noch steht.
Wie sehr würden es sich die vom Terror geplagten Bewohner von Tel Aviv, Haifa oder Beerschewa wünschen, unbeschwert dem Ball hinterherzujagen bei gefühlten 40 Grad auf dem Rasen.
Ich versuchte, mich zu konzentrieren, meine Tore zu schießen. Und in der Tat – es gelang mir! Nicht die Goals – mein Team unterlag beim letzten Spiel, sodass wir nicht ins Viertelfinale kamen –, jedoch auch befreit zu sein von Gedanken, die mir sonst ein schlechtes Gewissen hervorrufen würden. Für ein paar Stunden konzentrierten sich alle auf sich selbst. Vielleicht nicht alle, aber so nahm ich es zumindest wahr.
Auch wenn vermutlich fast jeder, der an diesem Turnier teilgenommen hat, Freunde und Verwandte in Israel hat, so war die Stimmung ausgelassen und locker, ganz gemäß den eigenen Regeln der Resilienz: sich nicht permanent kaputt zu machen, wenn man unentwegt mit Kriegsgeschehen konfrontiert ist.
Es klingt lapidar, aber ja, es war ein wenig wie früher, sprich wie vor dem 7. Oktober 2023. Das Weltgeschehen lag für ein paar Stunden ganz weit weg im Hintergrund. Man brauchte sich an dem Tag lediglich darum zu kümmern, dass man genügend trinkt, und zu wissen, wie viele Punkte die Konkurrenz erzielt hat.
Ist das ignorant? Nein, vermutlich einfach nur menschlich.
Trotzdem holte mich spätestens in den Spielpausen die Realität ein. Dann, wenn unter den Bäumen den Schatten jagend alle Familien auf Picknick-Decken vereint zusammensaßen oder beim Catering ihren koscheren Hamburger holten. An diesem Tag kamen 41 Mannschaften mit jüdischen Spielerinnen und Spieler im Alter zwischen vier und 50 oder älter Jahren zusammen, die sich darin versuchten, möglichst viele Tore zu treffen. 41 Mannschaften, das bedeutet auch über 400 Teilnehmende, exklusiv Publikum an einem Ort versammelt. Der Ort war öffentlich zugänglich, doch bewacht von der Polizei.
Das vermittelte zumindest ansatzweise ein Gefühl von Sicherheit und gehört nunmehr zum Alltag aller jüdischen Institutionen und Veranstaltungen. Die einen nehmen es mit Achselzucken wahr. Die anderen, und dazu zähle ich mich, halten kurz inne, wenn sie die Patrouillen sehen. Ich halte es immer noch nicht für selbstverständlich, weil ich mir insgeheim wünsche, dass es nicht nötig wäre.
Aber ich weiß, dass es nicht anders geht. Heute nicht mehr. Nur in einer anderen Welt bräuchten jüdische Amateurfußballerinnen und -fußballer keinen Polizeischutz, vielleicht in der Welt der Kinder meiner Kinder. Doch vermutlich zu naiv von mir zu denken, dass das je möglich sein wird. Es ist besser, wenn ich an jenem Tag auch diesen Gedanken von mir wegschiebe, damit ich mit meinen jüdischen Freundinnen schon bald wieder unbeschwert spielen kann.