Kommentar

Liebe Linken-Wähler, wolltet ihr das wirklich?

Joshua Schultheis Foto: Charlotte Bolwin

Kommentar

Liebe Linken-Wähler, wolltet ihr das wirklich?

Viele progressive Jüdinnen und Juden haben am Sonntag unter Bauchschmerzen Die Linke gewählt. Jetzt kriegen sie womöglich genau das, was sie nicht haben wollten

von Joshua Schultheis  25.02.2025 11:55 Uhr

Nase zuhalten und Die Linke wählen: Das schien das Motto zu sein, nach dem nicht wenige am Sonntag ihr Kreuzchen gemacht haben. In den sozialen Medien konnte man in den Wochen vor der Bundestagswahl mitverfolgen, wie zahlreiche junge Jüdinnen und Juden sowie israelsolidarische Linke mit sich gerungen haben.

Einerseits wünschten sie sich eine starke linke Oppositionspartei, die auch gegen den Trend soziale Themen hochhält und sich traut, von Umverteilung und Vermögenssteuer zu sprechen. Eine Oppositionspartei, die im Parlament nicht nur der AfD die Leviten liest, sondern auch den Parteien der Mitte, sollten die zu sehr mit dem Rechtspopulismus flirten.

Und es stimmt: ein Bundestag ohne die scharfen Reden einer Heidi Reichinnek oder eines Gregor Gysis und ohne die Kleinen Anfragen der Linken, die immer wieder Missstände offengelegt haben, wäre ein ärmerer gewesen.

Andererseits graute den hadernden Wählerinnen und Wählern vor der Außenpolitik der Linkspartei und den vielen Israelfeinden in ihren Reihen. Keine Waffen, weder für den angegriffenen jüdischen Staat noch für die um ihr Überleben kämpfende Ukraine: Gerade für Jüdinnen und Juden, auch die meisten linken, ist das eine uneinnehmbare Position.

Mit einem Argument rechtfertigten einige von ihnen, die Linke dennoch zu wählen: Als kleine Kraft in der Opposition habe die Partei ohnehin keinen außenpolitischen Einfluss. Man wolle Die Linke als Korrektiv, nicht als echte Gestalterin.

Lesen Sie auch

Jetzt, nach dem Wahltag, ist äußerst fraglich, ob diese Rechnung aufgegangen ist. Mit überraschenden 8,77 Prozent ist die Linkspartei im Bundestag vertreten, wo sie nun zusammen mit der AfD eine Sperrminorität hat. Mit dieser neuen Sitzverteilung wäre etwa die erforderliche Zweidrittelmehrheit für ein Sondervermögen für die Verteidigung, von dem auch die Ukraine militärisch profitieren würde, kaum vorstellbar.

So hat Die Linke künftig wohl gerade dort ein Wörtchen mitzureden, wo selbst einige ihrer Wähler hofften, dass sie keinen Einfluss haben würde. Zu denken sollte auch geben, dass vor allem die Teile der Linkspartei durch die Wahl gestärkt wurden, die bisher, gelinde gesagt, am wenigsten durch ihren Einsatz gegen Antisemitismus aufgefallen sind.

So ging ein Direktmandat in Berlin an Ferat Koçak, dessen Neuköllner Bezirksverband auf Wahlkampfhilfe des ehemaligen Labour-Chefs Jeremy Corbyn – der den Terror der Hamas konsequent verharmlost – gesetzt hatte, und einem unlängst aus der Partei ausgeschlossenen Mitglied treu die Stange hält, das aus seinem Vernichtungswillen gegenüber Israel nie einen Hehl gemacht hat.

Eine verlässliche Kraft gegen Antisemitismus wird die Linkspartei im neuen Bundestag sehr wahrscheinlich nicht sein. Hat es sich trotz all dessen gelohnt, der Linken am Sonntag die eigene Stimme gegeben zu haben? Einigen sind vermutlich bereits erste Zweifel gekommen. Für sie heißt es nun: Nase zuhalten bis zur nächsten Wahl.

schultheis@juedische-allgemeine.de

Meinung

Lasst uns nicht allein!

Nach dem Canceln von Lahav Shani durch das Flandern-Festival in Genf befürchtet Maria Ossowski, dass Juden Europa jetzt verlassen wollen

von Maria Ossowski  11.09.2025

Meinung

Gent: Boykottiert die Boykotteure!

Dass die Münchner Philharmoniker in Gent nicht auftreten dürfen, weil sie mit Lahav Shani einen israelischen Dirigenten haben, ist eine Schande - und erfordert eine deutliche Antwort deutscher Kulturschaffender

von Michael Thaidigsmann  10.09.2025

Meinung

Wenn Wutausbrüche Diplomatie ersetzen

So verständlich der Frust ist, tut sich Israels Regierung mit ihrer aggressiven Kritik an westlichen Regierungen und ihren Einreiseverboten für europäische Politiker keinen Gefallen

von Michael Thaidigsmann  08.09.2025

Meinung

Bitte mehr Sorgfalt, liebe Kollegen!

Weltweit haben Medien die Geschichte verbreitet: In Gaza sei ein hilfesuchendes Kind von Israelis erschossen worden. Es stimmt nur nicht, wie sich nun herausstellt. Von professionellen Journalisten darf man eigentlich mehr erwarten

von Susanne Stephan  08.09.2025

Essay

Das Gerücht über Israel

Die Geschichte des Antisemitismus ist eine Geschichte der Lüge. Was früher dem Juden als Individuum unterstellt wurde, wird nun Israel als Nation vorgeworfen

von Daniel Neumann  06.09.2025 Aktualisiert

Meinung

Einseitig, fehlerhaft, selbstgerecht

Die »International Association of Genocide Scholars« bezichtigt Israel des Völkermords. Die Hamas spricht sie von jeder Verantwortung für die Lage in Gaza frei. Eine Erwiderung

von Menachem Z. Rosensaft  05.09.2025

Meinung

Vuelta-Radrennen: Israelhasser ohne Sportsgeist

Bei der spanischen Radtour ist der israelische Rennstall Ziel von Störaktionen. Nun forderte der Rennleiter das Team auf, nicht mehr anzutreten. Wenigen Fanatiker gelingt es, Israel vom Sport auszuschließen - wie so oft in der Geschichte

von Martin Krauss  04.09.2025

Kommentar

Gaza: Das falsche Spiel der Vereinten Nationen

Die UN ist kein neutraler Akteur im Gazakrieg. Ihre Vertreter scheuen sich nicht, irreführende Zahlen in Umlauf zu bringen und die Hamas als legitime politische Kraft zu präsentieren

von Jacques Abramowicz  03.09.2025

Meinung

Marlene Engelhorn, die Gaza-Flottille und deutsche Schuldabwehr

Die Familie der BASF-Erbin hat an der Ermordung von Juden mitverdient. Nun diffamiert sie den jüdischen Staat, um sich selbst im Gespräch zu halten

von Antonia Sternberger  03.09.2025