Evelyn Finger

Keine Toleranz für Kalifatsfreunde

Evelyn Finger Foto: Michael Heck / Die Zeit

Evelyn Finger

Keine Toleranz für Kalifatsfreunde

Auf den Hamburger Demos von »Muslim Interaktiv« wird ein gefährliches Opfernarrativ propagiert. Es wird Zeit, dass die Politik dem Einhalt gebietet

von Evelyn Finger  15.05.2024 10:46 Uhr

In Hamburg ist es neuerdings verboten, für ein Kalifat in Deutschland zu demonstrieren. So richtig einig sind sich die Parteien aber noch nicht, wie gefährlich sie die Demos finden, und ob die Kalifatsfreunde vielleicht nur eine merkwürdige Meinung vertreten, die um der Meinungsfreiheit willen geschützt gehört.

In dieser Lage wäre eine einfache Frage hilfreich: Was heißt heute Kalifat? Theoretisch ist es die Herrschaft eines Kalifen, der als Nachfolger des Propheten Mohammed gilt. Praktisch ist es nicht so harmlos, wie wir von den Überlebenden des jüngsten Kalifats wissen, das der »Islamische Staat«  vor zehn Jahren in Syrien und im Irak ausrief.

Damals wurden Tausende Christen als Ungläubige vertrieben und mehrere Hundert entführt. Es folgte ein Völkermord an den Jesiden, bis zu 10 000 wurden massakriert, 7000 Frauen und Kinder versklavt, viele bestialisch missbraucht. Zugleich unterjochte das Kalifat Hunderttausende Muslime.   Das sollte man sich klarmachen, um Raheem Boateng, den Anmelder der Hamburger Demos von »Muslim Interaktiv«, besser zu verstehen. Der behauptete am vergangenen Samstag vor 2500 Sympathisanten: Er fordere ein Kalifat »nur für den Nahen Osten«.

Zwei Wochen zuvor waren seine Leute noch mit Schildern »Kalifat ist die Lösung« aufmarschiert. Weil die Behörden den Slogan nun verboten hatten, stand auf den Schildern »zensiert« oder »banned«. Passend dazu erschallte wieder die Klage über die deutsche »Meinungsdiktatur«. Lehramtsstudent Boateng trat abermals als Verteidiger muslimischer Rechte auf, behauptete außerdem, Deutschland stelle die Staatsräson (also die Solidarität mit Israel) über das Grundgesetz.

Das ist falsch. Und es ist israelfeindlich. Nicht ohne Grund wurde den Kalifatsfreunden verboten, zu Gewalt gegen Israel aufzurufen oder israelische Flaggen zu verbrennen. Diese Verbote benutzen sie nun, um sich als Opfer einer repressiven Politik und islamophober Medien zu inszenieren.

Es ist ein Opfernarrativ, wie man es schon von der Hamas kennt: erlogen und gefährlich. Denn es appelliert an das Gerechtigskeitsgefühl junger Muslime, um sie gegen Nichtmuslime zu mobilisieren. Indem die Fundamentalisten die Demokratie angreifen, schwingen sie sich zu Vorkämpfern der Antidiskriminierung auf.

Wird die Politik ihnen Einhalt gebieten? Bundesjustizminister Marco Buschmann, FDP, nannte Sympathiebekundungen für ein Kalifat »politisch absurd und abwegig«. Das reicht leider nicht. In Hamburg haben die Parteien der Mitte jahrelang Islamisten toleriert. Es wird Zeit, dass die Toleranz nicht mehr den Intoleranten nützt.

Die Autorin ist Leitende Redakteurin bei der Wochenzeitung »Die Zeit«.

Essay

Resilienz in Flip-Flops und Pyjamas

Eine Besucherin aus der Schweiz schildert ihre Eindrücke aus einem Schutzraum in Tel Aviv

von Joëlle Fiss  23.06.2025

Meinung

Die Schah-Flagge ist kein Symbol für Demokratie

Die Löwenfahne mag für manche iranische Oppositionelle ein Zeichen des Widerstands sein. Doch sie steht für eine repressive Vergangenheit statt für ein progressives Morgen

von Ruben Gerczikow  23.06.2025

Meinung

Die Kluft zwischen Juden und Nichtjuden wird offensichtlich

Es lebt sich grundsätzlich anders mit dem Wissen, dass ein Regime, das den eigenen Tod zur Staatsdoktrin erhoben hat, sich in aller Ruhe daran macht, dieses Ziel zu erreichen. Wer sich nicht bedroht fühlt, kann dagegen gelassen auf Verhandlungen setzen, für deren Scheitern andere den Preis zahlen müssen.

von Esther Schapira  22.06.2025

Kommentar

God bless America!

Die USA lassen Israel im Iran nicht allein die »Drecksarbeit« machen, nicht nur, weil sie hinter dem Existenzrecht des jüdischen Staates stehen, sondern, weil auch unsere Sicherheit durch das Teheraner Regime bedroht ist

von Rafael Seligmann  22.06.2025

Kommentar

Regime Change im Iran? Totgesagte leben länger

Auch jene, die dem Regime feindlich eingestellt sind, wissen, dass eine erneute Revolution durchaus schlimmeres hervorrufen kann. Auch deshalb braucht es einen Plan, meint Nathan Peres

von Nathan Peres  22.06.2025

Rabbiner Pinchas Goldschmidt

Skandal in Sarajevo

Wenn europäische Rabbiner zur Zielscheibe eines Regierungsboykotts werden, ist das nicht mehr legitime Kritik an Israel. Es ist Hasspropaganda. Ein Kommentar

von Rabbiner Pinchas Goldschmidt  21.06.2025

Meinung

Es geht um mehr als Deeskalation oder »Drecksarbeit«

In der deutschen Debatte um Israels Luftschläge gegen das Teheraner Regime wird das entscheidende ausgeklammert: die seit langem völlig verfehlte deutsche Iranpolitik

von Constantin Ganß  20.06.2025

Meinung

Israel hat eine historische Chance auf Frieden

Nach den militärischen Erfolgen der vergangenen 20 Monate hat der jüdische Staat keinen Feind mehr, der seine Existenz ernsthaft bedrohen könnte. Nun ist die Zeit für Diplomatie gekommen

von Joshua Schultheis  23.06.2025 Aktualisiert

Essay

Es geschah an einem 23. Siwan

Eine Betrachtung zu einem historischen Datum in der jüdischen Geschichte und dem Zusammenhang mit aktuellen Ereignissen

von Jacques Abramowicz  19.06.2025