Nicole Dreyfus

Kafka? - Überschätzt!

Nicole Dreyfus Foto: Claudia Reinert

Nicole Dreyfus

Kafka? - Überschätzt!

Unsere Redakteurin bestreitet das Genie des vielfach Gepriesenen und erklärt, warum sie mit Kafka nichts anfangen kann

von Nicole Dreyfus  02.06.2024 15:34 Uhr

Brauchen wir Kafka? Hypochonder, schlaflos, lähmend unentschlossen, vom Leben verängstigt, vom Tod besessen – Franz Kafka verwandelte, so gut er konnte, seine Neurosen in Kunst.

So viel Folter, diese präzis-verstörende Beschreibung von Wunden, Orientierungslosigkeit, Sadomasochismus, unerklärliche Grausamkeit, das Auftauchen von Nagetieren, Käfern, Geiern und anderen grotesken Kreaturen übersetzte er vor dem Hintergrund völliger Hoffnungslosigkeit offensichtlich in Literatur.

Seine Texte haben Schockwirkung und so sind sie weder ein guter Start in den Tag, noch ist Kafka vor dem Schlafengehen eine besonders erbauliche Lektüre. Und trotzdem findet die Welt, sie brauche Kafka. Warum nur? Warum herrscht Konsens darüber, dass Franz Kafka ein moderner Meister ist, der im selben Pantheon angesiedelt wird wie Joyce, Picasso, Strawinsky, Mallarmé und all die anderen Künstler, die das zeitgenössische Verständnis der Welt radikal verändert haben.

Ist es häretisch zu sagen, dass ich mich mit Kafkas Werk nie anfreunden konnte? Dass es sogar möglich war, ein klassisches Germanistikstudium zu absolvieren, ohne sich dem Mythos der stählernen Popfigur Kafka hinzugeben.

Dieses vermeintlich brillante Eigengewächs, das an Originalität offenbar kaum zu übertreffen ist und sich von allen bindenden Regeln der Geisteswissenschaften löst, empfinde ich als pure Selbstquälerei. Dieses halbautomatisch geschriebene Œuvre, das nie über den Status »vomit draft« hinauskam, blockiert sämtliche Lebensfreude in mir.

Zugegeben, sprachlich elegant verwoben sind die literarischen Geflechte. Und es ist ihm auch zugute zu halten, dass sich dieser Mann nicht zu Denkmoden, zu irgendwelchen »-ismen« hingezogen fühlte, sondern er auf seine eigene - wenn auch rätselhafte - Weise seine eigene Seele erforscht.

Doch jedes Mal, wenn ich mich überwand, mich mit Kafka auseinanderzusetzen, äußerten sich all meine Frustrationen und mein Gefühl der Ohnmacht gegenüber dem, was ich für den absurden Zustand der Welt hielt. Erhellend ist das nicht. Vielleicht ahnte der Schriftsteller, dass die Nachwelt ihn für überbewertet halten wird und verlangte deshalb, dass nach seinem Tod sein Werk vernichtet werden sollte.

Meinung

Gratulation!

Warum die Ehrung der ARD-Israelkorrespondentin Sophie von der Tann mit dem renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis nicht nur grundfalsch, sondern auch aberwitzig ist

von Lorenz Beckhardt  02.12.2025 Aktualisiert

TV-Kritik

Allzu glatt

»Denken ist gefährlich«, so heißt eine neue Doku über Hannah Arendt auf Deutsch. Aber Fernsehen, könnte man ergänzen, macht es bequem - zu bequem. Der Film erklärt mehr als dass er zu begeistern vermag

von Ulrich Kriest  02.12.2025

Streaming

Gepflegter Eskapismus

In der Serie »Call my Agent Berlin« nimmt sich die Filmbranche selbst auf die Schippe – mit prominenter Besetzung

von Katrin Richter  02.12.2025

Jean Radvanyi

»Anna Seghers war für mich ›Tschibi‹«

Ein Gespräch mit dem Historiker über die Liebesbriefe seiner Großeltern, Kosenamen und hochaktuelle Texte

von Katrin Richter  02.12.2025

TV-Kritik

Politisierende Ermittlungen

In »Schattenmord: Unter Feinden« muss eine arabisch-stämmige Polizistin den Mord an einem jüdischen Juristen aufklären

von Marco Krefting  02.12.2025

Kommentar

Schiedsgerichte sind nur ein erster Schritt

Am 1. Dezember startet die Schiedsgerichtsbarkeit NS-Raubkunst. Doch es braucht eine gesetzliche Regelung auch für Werke in Privatbesitz, meint unser Gastautor

von Rüdiger Mahlo  01.12.2025

Rache

»Trigger-Thema« für Juden

Ein Filmseminar der Jüdischen Akademie untersuchte das Thema Vergeltung als kulturelle Inszenierung

von Raquel Erdtmann  01.12.2025

Wuppertal

Schmidt-Rottluff-Gemälde bleibt in Von der Heydt-Museum

»Zwei Frauen (Frauen im Grünen)« von Karl Schmidt-Rottluff kann im Von der Heydt Museum in Wuppertal bleiben. Nach Rückgabe an die Erbin erwarb die Stadt das Bild von ihr. Vorausgegangen waren intensive Recherchen zur Herkunft

 01.12.2025

Dorset

»Shakespeare In Love« - Dramatiker Tom Stoppard gestorben

Der jüdische Oscar-Preisträger war ein Meister der intellektuellen Komödie. Er wurde 88 Jahre alt

von Patricia Bartos  01.12.2025