Anfang dieses Monats sind die Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas über eine Waffenruhe und ein Abkommen zur Freilassung der Geiseln erneut an der Unnachgiebigkeit der Terrororganisation gescheitert. Die Hamas hat den Verhandlungstisch verlassen, während sie weiterhin 50 Geiseln festhält, unter ihnen auch sieben deutsche Staatsbürger. Nach diesem weiteren gescheiterten Versuch, die verbliebenen Geiseln aus der Gefangenschaft der Hamas zu befreien, hat das israelische Kabinett beschlossen, den militärischen Druck auf die Terrororganisation zu erhöhen.
Zu genau diesem Zeitpunkt, an dem maximaler Druck auf die Hamas und ihre Unterstützer – auch seitens der Verbündeten Israels – wichtiger denn je ist, hat Deutschland beschlossen, ein Waffenembargo gegen Israel zu verhängen.
Dies ist keine kleine Kursänderung. Es ist vielmehr ein fundamentaler Bruch mit einem der zentralen außenpolitischen Konzepte und einem Leitmotiv der Bundesrepublik nahezu seit ihrer Gründung 1949 – nämlich dass Deutschland eine historische Verantwortung dafür trägt, die Existenz des jüdischen Staates und seine Fähigkeit zur Selbstverteidigung zu sichern. In einer Rede vor der Knesset im Jahr 2008 brachte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel dieses Prinzip im Begriff der Staatsräson auf den Punkt, was bedeutet, dass die Sicherheit Israels im nationalen Interesse Deutschlands liegt.
Diese Verpflichtung wurde nun gebrochen, die Konsequenzen daraus lassen sich kaum überschätzen. Das Waffenembargo sendet an Israel und an die Feinde des jüdischen Staates das Signal, dass die deutsche Unterstützung nur noch unter Vorbehalt steht und nicht mehr länger unumstößlich ist.
Die Folgen reichen weit über die bilateralen Beziehungen der beiden Länder hinaus. In der Europäischen Union hat sich Deutschland jahrzehntelang als eine zentrale Stimme gegen israelfeindliche Resolutionen und Boykotte eingebracht. Mit seinem Embargo hat Deutschland den Initiatoren solcher Vorstöße in der EU politische Deckung gegeben und sich selbst jeglichen Handlungsspielraum/Einflussmöglichkeit genommen, weitere Sanktionen und Boykotte zu blockieren.
Kein Land wird jetzt noch auf Berlin hören, wenn es gilt, in einer bestimmten Weise zu votieren. Warum auch? Hat Deutschland nicht selbst ein Embargo verhängt?
Indem Bundeskanzler Friedrich Merz ein Kernelement der deutschen Außenpolitik über Bord geworfen hat, das als Bestandteil des nationalen deutschen Interesses definiert war, hat er seine Optionen, nachteilige Maßnahmen der Europäischen Union gegen Israel zu verhindern, erheblich eingeschränkt.
Und was ist mit den deutschen Staatsbürgern, die weiterhin von der Hamas festgehalten werden? Die oberste Pflicht einer Regierung besteht darin, ihre Bürger zu schützen – ganz gleich, wo sie sich befinden. Die nüchterne und moralische Antwort der Bundesrepublik muss daher darin bestehen, ihr gesamtes politisches und wirtschaftliches Gewicht als führende Kraft der Europäischen Union dafür einzusetzen, maximalen Druck auf die Hamas und ihre Unterstützer – namentlich das iranische Regime und andere extremistische Kräfte – auszuüben und aufzuzeigen, dass es einen Preis hat, wenn deutschen Bürgern Schaden zufügt wird.
Deutschland könnte viel mehr tun, um finanziellen Druck auf die Hamas auszuüben, da es als Knotenpunkt für die Spendensammel- und Geldwäscheaktivitäten der Terrororganisation dient. Zugleich muss Berlin Israel weiterhin darin unterstützen, alle Geiseln zu befreien und die Hamas zu zerschlagen – statt das einzige Land in der Region zu schwächen, das dazu in der Lage ist.
Weiterhin sind die innenpolitischen Folgen in Deutschland ebenso gefährlich. Die Unterstützung für Israels Recht auf Selbstverteidigung war eine der wenigen parteiübergreifenden Konstanten der deutschen Politik und ein Kernbestandteil der Christlich Demokratischen Union. Konrad Adenauer, der erste Kanzler Nachkriegsdeutschlands, verankerte in der Partei die unumstrittene und unangefochtene Position, dass Deutschland eine Verantwortung und Verpflichtung gegenüber Israel und für dessen Sicherheit trägt – Leitprinzipien für jedes Parteimitglied und jeden Amtsträger seither.
Das macht Merz´ Begründung für die Entscheidung, dass das Embargo sei angesichts einer »Verschärfung gesellschaftlicher Konflikte in Deutschland und Europa« notwendig sei, umso beunruhigender. Es sendet – ob beabsichtigt oder nicht – das gefährliche Signal, dass die judenfeindlichen Mobs, die seit dem 7. Oktober den Ton auf deutschen Straßen bestimmen, die Außenpolitik beeinflusst haben – eine Außenpolitik, die sich auf historische Prinzipien und nationale Sicherheit stützen sollte, und nicht auf die Launen antisemitischer Horden, die Juden bedrohen, regelmäßig die Polizei angreifen und randalierend durch deutsche Innenstädte ziehen.
Und fehl geht Merz auch in der Annahme, dass sich die antisemitischen Protestierer durch solche Entscheidungen besänftigen lässt. Ganz im Gegenteil: Sie werden ihre Forderungen erhöhen und härtere Maßnahmen verlangen. Die Folgen für Jüdinnen und Juden in Deutschland sind düster.
Berlin hat noch Zeit für Schadensbegrenzung. Es sollte diese aber nicht aus diplomatischer Zweckmäßigkeit betreiben, sondern weil manche Prinzipien zu grundlegend sind, um preisgegeben zu werden. Wenn die Staatsräson künftig noch etwas gelten bedeuten soll, dann muss sie bedeuten, dass Deutschland dem jüdischen Staat beisteht, wenn dieser existenziell bedroht ist – ohne Zögern, nicht nur in Worten, sondern in Taten. Sie muss auch bedeuten, dass Israel in seinem existenziellen Kampf jede Unterstützung erhält, die es benötigt.
Der Autor ist Direktor des American Jewish Committee in Berlin.