Das Problem mit der jüngsten Resolution zur Lage in Gaza der International Association of Genocide Scholars (IAGS) ist nicht etwa ihre Kritik an der Politik und den Handlungen der Regierung des Staates Israel. Kritik daran ist legitim, insbesondere vor dem Hintergrund, dass Hunderttausende Israelis regelmäßig in den Straßen von Tel Aviv, Jerusalem und anderswo gegen die Regierung Netanjahu demonstrieren.
Auch ich bin entsetzt über das Leiden der palästinensischen Zivilbevölkerung in Gaza in den letzten 23 Monaten. Die Welt weiß, dass Frauen, Kinder und ältere Menschen der Gewalt eines Krieges ausgesetzt sind, über den sie keinerlei Kontrolle haben. Die Welt weiß auch, dass Krankenhäuser in ganz Gaza funktionsunfähig und Häuser, Schulen sowie fast die gesamte Infrastruktur des Gebiets zerstört sind.
Die Welt weiß, dass palästinensische Zivilisten in Gaza, darunter auch Kinder, nicht in jedem Fall die notwendigen Lebensmittel und Medikamente erhalten haben, auf die sie nach dem humanitären Völkerrecht Anspruch gehabt hätten. Die Welt weiß auch, dass palästinensische Kinder während dieses Krieges unnötig gelitten haben und immer noch leiden und sterben.
Ich stimme meinem ehemaligen Chef, dem Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses Ronald S. Lauder, auch voll und ganz zu, wenn er sagt, dass die rechtsextreme Rhetorik von Politikern wie dem israelischen Finanzminister Bezalel Smotrich und dem Minister für nationale Sicherheit Itamar Ben-Gvir »die Gefahr birgt, Israels moralische Stellung zu untergraben, seine diplomatischen Beziehungen zu schwächen und die Grundlagen seiner Sicherheit zu gefährden«.
Das Problem mit der IAGS-Resolution ist ihre Feindseligkeit gegenüber Israel und die Tatsache, dass sie die Rechtslage in Bezug auf Völkermord in der offenkundigen Absicht, Punkte gegen Israel zu machen, völlig falsch darstellt.
Einseitige Herangehensweise
Ich unterrichte seit vielen Jahren an der Cornell Law School und der Columbia Law School in den USA zum Thema Völkermordrecht. Ich weiß nicht, ob mich das als »Genocide Scholar« qualifiziert. Ich bin kein Mitglied der IAGS. Ich war es nie und strebe auch nicht an, eines zu werden. Aber behaupte, ausreichend qualifiziert zu sein, um die zahlreichen Mängel der IAGS-Resolution aufzuzeigen.
Ich bin zudem seit vielen Jahren Unterstützer des israelisch-palästinensischen Friedensprozesses. Im Dezember 1988 war ich einer von fünf US-Juden, die sich in Stockholm mit Jassir Arafat und anderen Führern der PLO trafen. Dieses Treffen führte dazu, dass die PLO später Israels Existenz als Staat im Nahen Osten erstmals offiziell »akzeptierte«. Nach wie vor bin ich der festen Überzeugung, dass die einzige realistische und tragfähige Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts darin besteht, Israelis und Palästinensern ein friedliches Zusammenleben zu ermöglichen.
Jede einseitige Herangehensweise an diesen Konflikt, wie sie auch in der IAGS-Resolution zum Ausdruck kommt, ist hingegen kontraproduktiv. Dementsprechend lehne ich die IAGS und andere, die Israel dämonisieren und es allein für die Verwüstungen in Gaza verantwortlich machen, entschieden ab.
Zwar wird in der IAGS-Resolution zu Beginn kurz auf »den schrecklichen Angriff der Hamas vom 7. Oktober 2023, der selbst ein internationales Verbrechen darstellt« Bezug genommen. Anschließend wird die Hamas dann aber nicht mehr erwähnt. Dabei führt Israel seinen Krieg doch gegen genau diese Terrororganisation. Ebenfalls nicht erwähnt wird, dass das erklärte Ziel der Hamas die vollständige Zerstörung Israels ist.
Verantwortung der Hamas wird ausgeblendet
Nirgendwo in der Resolution wird auch nur ansatzweise darauf hingewiesen, dass die Hamas und nicht etwa Israel palästinensische Zivilisten in Gaza, darunter auch Kinder, als menschliche Schutzschilde benutzt. Dass es die Hamas und nicht Israel war, die militärische Einrichtungen in oder unter Schulen und Krankenhäusern errichtet hat, wodurch diese zu legitimen Zielen für Israel wurden. Auch nicht erwähnt wird, dass nach allem, was wir wissen, die Hamas eine hohe Verantwortung trägt dafür, dass die Verteilung humanitärer Hilfsgüter in Gaza so schlecht funktioniert.
Ich kenne auch keine Beweise dafür, dass Israelis palästinensische Frauen und Mädchen vergewaltigt oder sexuelle Gewalt gegen sie ausgeübt haben. Die Welt weiß jedoch seit knapp zwei Jahren, wie brutal Hamas-Terroristen am 7. Oktober 2023 israelische Frauen und Mädchen vergewaltigten und dass weibliche israelische Geiseln während in der Gefangenschaft in Gaza von Hamas-Mitgliedern sexuell missbraucht wurden. Dennoch bezichtigt die IAGS-Resolution Israel der »sexuellen und reproduktiven Gewalt” gegen Palästinenser und verschweigt die sexuelle Gewalt gegen israelische Frauen und Mädchen.
Um es klar zu sagen: Auch Israel trägt Verantwortung für etwaige Rechtsverstöße. Aber für eine einseitige Verurteilung Israels durch eine Organisation wie die IAGS, die den Anschein erweckt, unparteiisch zu sein, gibt es wirklich keine Veranlassung.
Was die rechtliche Bewertung in Bezug auf den Vorwurf des Völkermords betrifft, so ignoriert die IAGS-Resolution geflissentlich die Tatsache, dass gemäß der UN-Konvention von 1948 über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes dieses spezielle Verbrechen die Absicht voraussetzt, »eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören«.
Eindeutige Rechtsprechung des IGH
In seinem Urteil von 2007 in Sachen »Bosnien-Herzegowina gegen Serbien und Montenegro« stellte der Internationale Gerichtshof (IGH) fest: »Die spezifische Absicht [Völkermord zu begehen] ist auch von anderen Gründen oder Motiven zu unterscheiden, die der Täter möglicherweise hat. Es muss mit großer Sorgfalt darauf geachtet werden, dass sich diese Absicht in den Tatsachen hinreichend klar manifestiert.”
Daher stellte der IGH weiter fest, dass »der dolus specialis, die spezifische Absicht, die Gruppe ganz oder teilweise zu vernichten, unter Bezugnahme auf bestimmte Umstände überzeugend nachgewiesen werden muss, es sei denn, es kann überzeugend nachgewiesen werden, dass ein allgemeiner Plan zu diesem Zweck existiert; und damit ein Verhaltensmuster als Beweis für dessen Existenz akzeptiert werden kann, muss es so beschaffen sein, dass es nur auf die Existenz einer solchen Absicht hindeuten kann.«
Mit anderen Worten: Nach geltendem Völkerrecht kann man aus Handlungen oder Verhaltensmustern, die Ergebnis einer ganz anderen Absicht sind, keine Absicht zur Begehung von Völkermord ableiten. Im Fall Israels bestand eindeutig die Absicht bestand, eine mörderische Terrororganisation – die Hamas – zu beseitigen, weil sie eine existenzielle Bedrohung für die israelische Zivilbevölkerung darstellt.
Es bräuchte gerade jetzt einen fairen Ansatz, der einen Weg zur Beendigung des Krieges zwischen Israel und der Hamas aufzeigt. Was aber definitiv nicht gebraucht wird, sind selbstgerechte Verlautbarungen von Verbänden wie der IAGS, die die Verantwortung für den Tod und das Leiden der palästinensischen Zivilbevölkerung in Gaza ausschließlich Israel zuschreiben und die Hamas von jeglicher Verantwortung für das Blutvergießen freisprechen.
Der Autor ist außerordentlicher Professor für Rechtswissenschaften an der Cornell Law School und der Columbia University in New York. Er war von 2009 bis 2023 Justiziar des Jüdischen Weltkongresses (WJC).