Die SP Schweiz hat sich selbst desavouiert. Die Sozialdemokraten haben an ihrem Parteitag am Samstag zwei sich widersprechende Resolutionen angenommen. Da wird in der einen Resolution von »Genozid« und »Apartheid« gesprochen – schwerste juristische Begriffe, die man keinesfalls leichtfertig in den Mund nehmen sollte. So macht die SP Israel zum Täter und kontrafaktisch zum Urheber eines Völkermords.
Und dann – um die Wogen zu glätten – folgt eine zweite Resolution, die plötzlich doch die Verantwortung der Hamas benennt und »die Klärung des Genozid-Vorwurfs« fordert. Mit anderen Worten: Die Partei beschließt gleichzeitig, dass Israel einen Genozid begangen hat – und dass man erst noch prüfen müsse, ob dieser Vorwurf überhaupt zutrifft. Das ist kein politischer Diskurs, das ist intellektuelle Selbstauflösung.
Die SP betreibt intellektuelle Selbstauflösung.
Noch grotesker wird es, wenn führende SP-Vertreter wie Cédric Wermuth im gleichen Atemzug die Hamas-Massaker als »genozidales Massaker« bezeichnen – und dennoch den Begriff des »Genozids« für Israel beanspruchen. Wer alles zu einem Genozid erklärt, entwertet den Begriff nicht nur, sondern banalisiert ihn auch. Wer die Hamas und ihre Absicht Juden zu vernichten und die Verteidiger der jüdischen Opfer in einem Atemzug moralisch gleichsetzt, hat jedes Gespür für historische Verantwortung verloren.
Besonders verstörend ist dabei die Tatsache, dass ausgerechnet die Parteileitung eine ausgewogenere Resolution – jene, die Hamas und die israelische Kriegsführung verurteilte – gar nicht erst zuließ. Aus formalen Gründen, wie es hieß. In Wahrheit war es politische Feigheit. Man wollte das lautstarke palästinafreundliche Lager nicht verärgern, das vor allem in der französischen Schweiz lauthals seine antiisraelische Rhetorik artikuliert – und opferte dafür die intellektuelle Redlichkeit.
Die Sprechchöre der Linksradikalen von Bern, die vor zwei Wochen die Schweizer Hauptstadt in zum Teil in Flammen gesetzt haben, sind damit in der Parteileitung angekommen. Diese wiederum geniert sich nicht, die Hamas-Narrative der Straßenchaoten in ihre Resolutionen aufzunehmen, nur um dem Mainstream zu gefallen. Das ist Opportunismus, für den letztendlich auch die Juden und Jüdinnen der Schweiz ihren Kopf hinhalten müssen.
Auf der Strecke bleiben ebenso die gemäßigten Stimmen in der SP. Es gibt sie tatsächlich noch. Aber sie verschaffen sich kein Gehör mehr inmitten der Polterrunde der lauthalsen »Genozid«-Versteher. Jene bilden die toxische Mischung aus alten Linken, die darüber enttäuscht sind, dass aus Israel nie ein Kuba am Mittelmeer geworden ist, aus Stimmen des migrantischen Milieus, die nie ein Hehl aus ihrem Israelhass gemacht haben und den Trittbrettfahrern, die mit Kinderwagen an Zerstörungsdemos teilnehmen.
Was sich am SP-Parteitag in Sursee abspielte, war kein Ausdruck moralischer Haltung – sondern ein Offenbarungseid. Eine Partei, die sich gern als Stimme der Menschlichkeit versteht, hat mit zwei dermaßen widersprüchlichen Resolutionen vor allem eines bewiesen: ihre eigene moralische Orientierungslosigkeit. Um Menschenrechte geht es der sozialdemokratischen Partei dabei schon lange nicht mehr, es sind nur noch Gesinnungspunkte. Mit dem Resultat: eine Partei zu sein, die vorgibt, gegen Gewalt zu sein, die aber blind ist für den Terror, der nicht ins eigene ideologische Raster passt. Das ist scheinheilig und heuchlerisch.
Die SP hat in Sursee nicht wirklich über den Nahostkonflikt gestritten, sondern über ihr eigenes Verhältnis zur Wahrheit, das sie komplett aufgegeben hat.
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