Meinung

Die Linkspartei, ihr Bundesparteitag und der Abschied vom Eintreten gegen Judenhass

Es ist der 7. Oktober 2023. Früh am Morgen sitze ich in unserem Garten an den Hängen des Mount Kenya und lese auf meinem Telefon die eingehenden Meldungen von einem Terrorangriff auf Israel.
Im Laufe des Tages wird das ganze Ausmaß der Katastrophe offensichtlich.

Das größte Massaker an Juden seit der Schoa. Die verwackelten Videos der Mörder sind von unbeschreiblicher Grausamkeit. Sie jubeln und tanzen vor den Leichen jüdischer Frauen und Kinder. In Gaza verhöhnen arabische Zivilisten die Geiseln, sie spucken auf die toten Körper junger israelischer Frauen.

Schon am nächsten Tag veröffentlicht der deutsche »Bund der Antifaschisten« eine Resolution, in der Israel aufgefordert wird, friedfertig auf den Judenmord zu reagieren. Ich übermittle dem Vorstand des Bundes direkt aus Kenia meine Austrittserklärung und frage mich sogleich, was meine Partei zu all dem wohl zu sagen haben könnte.
Was ich von ihr bald darauf lesen muss, führt wenige Wochen später zu meinem Austritt aus der Partei, nach 33 Jahren.

Das Ganze hat eine Vorgeschichte, eine sehr lange Vorgeschichte

Einige hochrangige Funktionäre hatten noch versucht, mich von meinem Entschluss abzubringen. Aber das Ganze hat eben eine Vorgeschichte, eine sehr lange Vorgeschichte.

Da waren die Selektionen, die RAF-Terroristen in entführten Flugzeugen hatten durchführen lassen, da waren die begeisterten Solidaritätsbekundungen der DDR für die PLO Arafats, da war der antisemitische FDJ-Sekretär in meiner Klasse, da war – Jahre später – der stellvertretende Berliner Vorsitzende der PDS, der mir ins Gesicht sagte, das Schlimmste in der Geschichte des Judentums sei die Gründung des Staates Israel gewesen.

Da waren die mutigen »Genossinnen«, die auf einem von türkischen Faschisten finanzierten Solidaritätsboot nach Gaza schipperten. Natürlich auf dem Frauendeck.

Und jetzt war eben Schluss. Endgültig Schluss.

Leicht fiel mir mein Schritt allerdings nicht. In den folgenden Monaten fragte ich mich gelegentlich, ob ich die richtige Entscheidung getroffen hatte, ob sie wirklich unvermeidlich gewesen war.

Hin und wieder glaubte ich, einen leichten Phantomschmerz zu verspüren

Hin und wieder glaubte ich, einen leichten Phantomschmerz zu verspüren. Ich ertappte mich sogar dabei, dass ich, wenn ich von der Linken sprach, das Wort »unsere« vor das Wort »Partei« setzte.
Einige, die von meinem Austritt tief enttäuscht gewesen waren, verließen später ebenfalls die Partei, der Abstieg der Linken verlief rasant, irgendwann wurden in den einschlägigen Umfragen ihre Ergebnisse gar nicht mehr separat gezählt.

Alle letzten Zweifel sind jetzt beiseite gefegt. Das ist nicht mehr »unsere« Partei. Das ist jetzt der Feind.

Im Herbst letzten Jahres versammelte sich der traurige Rest auf einem Parteitag in Halle. Frieden wollte man schließen, und die Reihen.
Man fasste einen Beschluss, den halbherzig zu nennen, eine freundliche Untertreibung wäre.

Gewiss, man verurteilte pflichtschuldigst das Treiben der Hamas, war aber unerschütterlich in der Solidarität mit den Palästinensern und nicht minder entschlossen in der Verurteilung Israels. Allen Fraktionen der Partei wollte man gerecht werden, insbesondere natürlich der Neuköllner Fraktion, und tatsächlich erhob sich die Partei alsbald wie Phoenix aus der Asche.

Am Wahlabend jubelte die Parteiführung über ein Ergebnis, dass der Linken niemand mehr zugetraut hatte. Nicht einmal deren Mitglieder selbst. Ich schämte mich ein wenig, weil auch ich mich leise freute.

Der Erfolg der Partei hat gerade auch bei jungen Leuten sehr viel mit Judenhass zu tun

Schnell aber stellte sich heraus, dass der Erfolg der Partei gerade auch bei jungen Leuten sehr viel mehr mit Judenhass zu tun hatte, als manchen Funktionären bewusst gewesen war. Junge Abgeordnete der Linken lichteten sich voller Stolz mit Kufiya um den Hals im Plenarsaal des Bundestags ab.

Ein hoch angesehenes Mitglied der Fraktionsführung erklärte daraufhin, er verteidige das Recht, religiöse Symbole im deutschen Parlament zu tragen. Vielleicht hatte er in diesem Moment vergessen, dass dieses Kleidungsstück kein religiöses Symbol ist, sondern ein Zeichen des arabischen Nationalismus – erfunden von einem gewissem Al Husseini, der gemeinsam mit dem Führer an der Endlösung der Judenfrage in Palästina arbeitete.

Vor wenigen Tagen veröffentlichte eine Dame aus dem Bundesvorstand die Karte Israels in den Farben der Hamas. Der Parteivorstand fasste daraufhin eilig einen Beschluss, der die Karte zwar kritisierte, ansonsten aber den Palästinensern abermals Treue schwor und die »Kriegsverbrechen Israels« prominent verurteilte.

Israel das Existenzrecht abzusprechen, ist fortan für die Linke nicht mehr zwangsläufig antisemitisch

Und jetzt schließlich das: Die Linke hat auf ihrem jüngsten Parteitag gewissermaßen im Handstreich ihr Verständnis vom Antisemitismus geändert. Israel das Existenzrecht abzusprechen, ist fortan für die Linke nicht mehr zwangsläufig antisemitisch. Die mit Hamas-Dreiecken und Bluthänden beschmierten Hörsäle deutscher Universitäten sind für Die Linke offensichtlich nunmehr Ausdruck schützenswerter Meinungsfreiheit.

Dieser Schutz gilt auch jenen, die in Neukölln am 7. Oktober Süßigkeiten verteilt hatten und heute bei jeder passenden Gelegenheit bekunden, Israel von der Landkarte tilgen zu wollen.

Damit hat sich Die Linke ganz nebenbei auch von Lenin verabschiedet. Bei Lenin kann man nachlesen, was der Führer der russischen Revolution von der antisemitischen Hetze des zaristischen Regimes hielt. Antisemiten werden niemals Sozialisten sein können. Und wahre Sozialisten sind qua Definition keine Antisemiten.

Wer sich aber als vorgeblich sozialistische Partei mit einer Bewegung solidarisiert, die Frauen steinigt, Homosexuelle verbrennt und den Judenmord als oberstes Ziel ihrer Bemühungen proklamiert, hat keine Ehre. Alle letzten Zweifel sind jetzt beiseite gefegt. Das ist nicht mehr »unsere« Partei. Das ist jetzt der Feind.

Der Autor ist Musiker und langjähriges Mitglied der Linken.

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