Ingo Way

Die besondere Ironie im Fall Menasse

Ingo Way Foto: Stephan Pramme

Ingo Way

Die besondere Ironie im Fall Menasse

Der österreichische Schriftsteller hat behauptet, ausgerechnet in Auschwitz sei eine Rede gehalten worden – die er nur erfunden hat. Das ist Geschichtsklitterung

von Ingo Way  10.01.2019 08:08 Uhr

Er hat also gelogen: Der österreichische Schriftsteller Robert Menasse hat in mehreren Reden und Essays (und keineswegs nur in einem fiktionalen Roman) behauptet, der CDU-Politiker Walter Hallstein habe seine Antrittsrede als Präsident der EWG-Kommission 1958 im ehemaligen Vernichtungslager Auschwitz gehalten – um damit zu unterstreichen, wohin die Idee der Nation letztlich führt, nämlich geradewegs in die Vernichtung.

Mittlerweile hat Menasse zugegeben, dass er sich das bloß ausgedacht hat, nicht ohne dabei noch einmal gegen seine Kritiker auszuteilen, deren Beharren auf historischer Korrektheit doch nur den Rechten in die Hände spiele.

INSTRUMENTALISIERUNG Diese Instrumentalisierung von Auschwitz, um der eigenen Position in einer heutigen politischen Debatte moralisches Gewicht zu verleihen, ist gleich doppelt perfide. Zum einen liegt eine besondere Ironie darin, dass Menasse sich ausgerechnet Walter Hallstein als Gewährsmann für seinen Antinationalismus »wegen Auschwitz« ausgesucht hat.

Für Hallstein, der als Juraprofessor während des »Dritten Reichs« Mitglied in mehreren NS-Organisationen war, unter anderem im »Nationalsozialistischen Rechtswahrerbund«, der Berufsvereinigung der Juristen in Nazideutschland, und im Zweiten Weltkrieg als Leutnant der Wehrmacht in Frankreich diente, spielte in seinem politischen Denken (auch wenn er wohl kein glühender Nazi gewesen war) Auschwitz nie eine besonders große Rolle – ebenso wenig wie für die übrigen Gründungsväter der EWG.

Zum anderen ist Menasses Geschichtsklitterung ein Schlag ins Gesicht derjenigen, die aus Auschwitz ganz andere Schlüsse gezogen haben, als dass die Nation überwunden werden müsste: Der israelische Nationalstaat wurde drei Jahre nach diesem Menschheitsverbrechen gegründet, nicht nur, aber eben auch als Reaktion darauf – damit sich Ähnliches nicht wiederhole.

Wer meint, eine supranationale Welt sei trotzdem eine gute Idee, soll gerne dafür argumentieren – jedoch ohne mit einer Wiederholung von Auschwitz zu drohen.

Cancel Culture

»Die beste Waffe ist weiterzumachen«

Anti-Israel-Kampagnen führen zunehmend auch zum Cancelling von Künstlern. Der Musiker David Hermlin sagt, er erlebe es gerade in der Swing-Szene. Ein Gespräch über offenen Hass und wie man damit umgeht

von Sophie Albers Ben Chamo  11.09.2025

Meinung

Gent: Boykottiert die Boykotteure!

Dass die Münchner Philharmoniker in Gent nicht auftreten dürfen, weil sie mit Lahav Shani einen israelischen Dirigenten haben, ist eine Schande - und erfordert eine deutliche Antwort deutscher Kulturschaffender

von Michael Thaidigsmann  10.09.2025

Belgien

Festival lädt Philharmoniker mit Dirigent aus Israel aus

Wenige Tage vor einem Auftritt in Belgien wird dem Orchester aus München abgesagt. Der Grund: Sein designierter Chefdirigent habe sich angeblich nicht eindeutig von Israels Regierung distanziert

 11.09.2025 Aktualisiert

Bundesamt für Statistik

Dieser hebräische Vorname ist am beliebtesten bei Schweizer Eltern

Auch in der Schweiz wählen Eltern weiterhin häufig biblische Namen für ihr Neugeborenes

von Nicole Dreyfus  10.09.2025 Aktualisiert

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 11. September bis zum 21. September

 10.09.2025

Kino

Für Hermann Göring lernte Russell Crowe Deutsch

Crowe spielt den Nazi-Verbrecher in »Nuremberg«, einem packenden Thriller über die Nürnberger Prozesse

von Manuela Imre  10.09.2025

Madrid

Spanien fordert erneut Ausschluss Israels vom ESC

Die linksgerichtete spanische Regierung zählt in Europa zu den schärfsten Kritikern des israelischen Militäreinsatzes in Gaza. Nun rückt die Teilnahme des jüdischen Staates am europäischen Gesangswettbewerb erneut in den Fokus

 10.09.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Warum Franz Kafka Challe mit Zimt hätte essen sollen

von Katrin Richter  09.09.2025

Aktivismus

Wie politisch ist Mode?

Protest-Accessoire, Fashion Item und nationales Symbol: die Kufiya und ihre Geschichte

von Ralf Balke  09.09.2025