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Philipp Peyman Engel, Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen Foto: Marco Limberg

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Sollte die Bundesrepublik Israel im Ernstfall auch militärisch beistehen? Ein Kommentar von Philipp Peyman Engel

von Philipp Peyman Engel  08.08.2024 10:10 Uhr

Was ist in politischer Hinsicht im schlechtesten Sinne typisch deutsch? Ganz zweifelsfrei das Folgende: seit nahezu 20 Jahren bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Sicherheit Israels als deutsche Staatsräson beschwören, bei jeder sich bietenden Gelegenheit in Berlin oder Jerusalem beteuern, dass die Bundesrepublik unverrückbar an Israels Seite steht, bei jeder sich bietenden Gelegenheit an den Holocaust-Gedenktagen beteuern, dass Juden »Nie Wieder!« Ziel von Vernichtungsdrohungen werden dürfen – aber wenn es wirklich ernst wird, untätig bleiben. Das Versprechen nicht einzulösen. Israel, den Juden unter den Staaten, im Stich zu lassen. Es sich hinter Ausflüchten bequem zu machen.

Kann, darf, sollte und müsste die Bundesrepublik Israel in der Stunde der Not auch militärischen Beistand leisten? Wenn ja: In welcher Form? Mit welchen Waffen? Mit welchen Konsequenzen? Welche Hilfe würde ohne Bundestagsmandat erlaubt sein, und welche Unterstützung nur mit entsprechendem Auftrag?

Und wäre im Fall der Fälle die notorisch nur sehr bedingt abwehrbereite Bundeswehr überhaupt in der Lage, Israel mehr als nur symbolisch beizustehen?

Der Iran hat geschworen, Jerusalem ein für alle Mal von den Zionisten zu »befreien«

Über diese Fragen wird seit Angela Merkels historischer Rede vor der Knesset am 18. März 2008 immer wieder leidenschaftlich gestritten. Doch wohl noch nie seit dem Versprechen der damaligen Bundeskanzlerin waren die Fragen so akut und relevant wie in diesen Tagen. Israel ist so bedroht wie seit Langem nicht.

Die Hisbollah im Norden hat seit dem 8. Oktober mehr als 6500 Raketen auf Israel abgefeuert. Mit Hunderten von Drohnen wurde Israel darüber hinaus attackiert, 44 israelische Zivilisten wurden getötet und Dutzende Menschen verletzt. Ende Juli griff die Hisbollah mit einer iranischen Rakete an und tötete zwölf Kinder. Durch die Angriffe der Hisbollah-Terroristen sind mehr als 80.000 Israelis zu Binnenflüchtlingen geworden.

Und mehr noch: Die Mullahs in Teheran haben vor mehr als einer Woche angekündigt, Israel so hart zu attackieren wie noch nie. Zur Erinnerung: Erst Mitte April hatte die Islamische Republik Iran Hunderte Drohnen und Raketen auf Israel abgefeuert. Nur mit Mühe und Not konnte Jerusalem die Attacken im Verbund mit den USA, Großbritannien, Frankreich und Jordanien abwehren. Laut Sicherheitsexperten war dieser Angriff so massiv, dass keineswegs feststand, ob Israel dem Feuerhagel wirklich würde standhalten können.

Die Beteuerungen der Bundesregierung sind offenkundig bloß wohlfeile Rhetorik

Hinzu kommen die fortwährenden Angriffe aus Gaza, dem Jemen, Irak und Syrien, dem sogenannten schiitischen Feuerring, den Teheran um Israel errichtet hat, um Jerusalem ein für alle Mal von den Zionisten zu »befreien«.

Seit acht Tagen warten Millionen Israelis voller Angst auf den angekündigten Angriff des Iran. Seit einer Woche verharren sie in Angst um sich und ihre Lieben. Und die Bundesregierung? In dieser Situation gäbe es Gelegenheit zu zeigen, dass ihre Nie-Wieder-Ankündigungen und Wir-stehen-unverrückbar-an Israels-Seite-Versprechen mehr sind als bloße Worte.

Doch Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius antwortete fast schon pampig auf die Frage, wie Deutschland Israel angesichts der Bedrohungslage militärisch beispringen könnte. Ein solcher Einsatz sei völlig unvorstellbar, erklärte der SPD-Politiker, der für gewöhnlich als nicht eben risikoscheuer Verteidigungsminister gilt.

Wann, wenn nicht jetzt? Die Beteuerungen der Vergangenheit – offenkundig wohlfeile Rhetorik.

»Höre, Israel!« und Äquidistanz geben im Auswärtigen Amt den Ton an

Und die Außenministerin? Ergeht sich wieder und immer noch in permanenten Ermahnungen Israels, die Lage in Nahost »nicht zu eskalieren«. Statt demjenigen beizustehen, der angegriffen wird, und anstatt auf den Aggressor mäßigend einzuwirken, also das altbekannte »Höre, Israel!« und Äquidistanz in Form der viel zitierten »Gewaltspirale«, die Annalena Baerbock (Grüne) anscheinend von ihrem Vorvorgänger Frank-Walter Steinmeier (SPD) unrühmlicher Weise übernommen zu haben scheint.

»Deeskalation« sei das Gebot der Stunde, so Baerbocks Appell am Dienstag auf X an alle Akteure in Nahost. Es wird wohl für immer ein Geheimnis der Beamten am Werderschen Markt in Berlin bleiben, inwiefern genau Israel dazu beigetragen hat, seit dem 8. Oktober, einen Tag nach dem größten Massaker an Juden nach der Schoa, im Dauerfeuer Libanons, Jemens und des Iran zu stehen.

Bezeichnend: Selbst zehn Monate nach den Hamas-Massakern und dem andauernden massiven Anstieg der antisemitischen Fallzahlen in Deutschland hat sich die Ampel immer noch nicht auf eine Bundestagsresolution gegen Judenhass einigen können. Hier ist es nicht die Union, die Probleme beim Selbstverständlichen macht, sondern die Ampelkoalition.

Mehr als deutlich liest sich eine Mail der Israelischen Botschaft

Was also ist nun zu tun? Israel steht unter massiver Bedrohung. Natürlich müsste Deutschland in dieser besonderen Situation, im Falle eines Angriffs, auch militärisch an der Seite des jüdischen Staates stehen. Zumindest angesichts der drohenden iranischen Attacken Israel auch militärischen Beistand zur Abwehr anbieten.

Selbstverständlich müssten den großen Worten von Angela Merkel auch die entsprechenden Taten folgen. Schon gar nicht sollte sich die Bundesregierung wie bisher dahinter verstecken, dass Israel Berlin offiziell noch nicht um Hilfe ersucht hat. Helfen würde es ganz zweifellos auch, wenn der Bundessicherheitsrat endlich alle Rüstungsexportanträge freigeben würde.

Mehr als deutlich liest sich eine Mail der Israelischen Botschaft in Berlin, die am frühen Mittwochabend an Abgeordnete des Bundestags versendet wurde; die Mail liegt der Jüdischen Allgemeinen vor.

Den historischen Worten von Angela Merkel müssen Taten folgen

Darin heißt es: »Die Unterstützung Deutschlands für Israel in diesen schwierigen Zeiten ist von größter Bedeutung. Es ist an der Zeit, das Konzept der Sicherheit Israels als Teil der deutschen Staatsräson in die Tat umzusetzen. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Deutschland Israel mit den notwendigen Mitteln ausstattet, damit Israel sich selbst schützen kann. Wir brauchen Ihre klare Stimme für die Unterstützung Israels und für das Recht, sich selbst zu verteidigen.«

Klarer – und eindringlicher – könnte die Aufforderung zu helfen nicht sein.

Wahre Freundschaft erkennt man erst in schlechten Zeiten, heißt es oft. Es ist ein Spruch wie aus dem Poesiealbum. Falsch ist er deswegen nicht, realpolitisch schon gar nicht.

Wer den Satz von Israels Sicherheit als deutscher Staatsräson wirklich ernst meint, der muss jetzt zwingend handeln – oder endlich zugeben, dass sich in diesem zentralen Punkt für die Bundesrepublik eben keine Konsequenzen aus der deutschen Geschichte ergeben, aller bisherigen Beteuerungen und Versprechen zum Trotz. Es wäre ein katastrophaler politischer und historischer Offenbarungseid. Aber es wäre zumindest ehrlich.

engel@juedische-allgemeine.de

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