Léonardo Kahn

Das ewige Dilemma linker Juden

Vor den Parlamentswahlen ist dem linken Flügel in Frankreich der lang ersehnte Schulterschluss aller großen Parteien gelungen. Aber um welchen Preis?

von Léonardo Kahn  16.06.2022 07:29 Uhr

Léonardo Kahn Foto: Marine Clément

Vor den Parlamentswahlen ist dem linken Flügel in Frankreich der lang ersehnte Schulterschluss aller großen Parteien gelungen. Aber um welchen Preis?

von Léonardo Kahn  16.06.2022 07:29 Uhr

Es wird eng für Präsident Macron. Das linke Bündnis NUPES hat in der ersten Wahlrunde landesweit die meisten Stimmen gesammelt. Reale Aussichten auf eine Mehrheit hat es dennoch nicht, denn Emmanuel Macrons Partei Ensemble hat laut Umfragen in den meisten Wahlkreisen die Nase vorn.

Trotzdem dürfte der politische Einfluss von NUPES zunehmen, zumindest, wenn das Linksbündnis am kommenden Sonntag ein ähnlich gutes Wahlergebnis erzielt wie in der ersten Runde. Als linker Wähler ist das ein Grund zur Freude, als Jude weniger.

kopfschmerzen Schon während der Präsidentschaftswahlen bereitete der linke Spitzenkandidat Jean-Luc Mélenchon der jüdischen Gemeinde Kopfschmerzen. Diese verschlimmerten sich bei den Parlamentswahlen. Nicht nur äußern sich Vertreter seiner Partei La France Insoumise regelmäßig antisemitisch. Anschließend wird auch noch die Kritik aus den verbündeten Parteien ins Lächerliche gezogen.

So sollte ursprünglich der 25-jährige Aktivist Taha Bouhafs kandidieren, ein Antizionist mit einem Faible für islamistische Gruppierungen. Seine Kandidatur wurde schließlich zurückgezogen – wegen Vergewaltigungsvorwürfen und nicht, weil NUPES die Bedenken der jüdischen Gemeinde ernst genommen hätte. Die Kritik an seiner Aufstellung wurde als »rassistische Hetzkampagne« verunglimpft.

Müssen Sozialisten für ihr politisches Facelifting Antisemitismus dulden oder ihn gar fördern?

Ähnlich lief es, als Jeremy Corbyn für ein linkes Wahltreffen nach Paris reiste. Die jüdische Gemeinschaft äußerte scharfe Kritik gegen den ehemaligen Vorsitzenden der britischen Labour Party, der sich unter anderem 2018 mit Vertretern einer palästinensischen Terrorgruppe getroffenen hatte. NUPES schien darin keinen Judenhass zu erkennen. Vielmehr sei Corbyn »Opfer einer rüden Manipulation« gewesen, so die linke Kandidatin Danielle Simonnet.

Vor den Parlamentswahlen ist dem linken Flügel in Frankreich der lang ersehnte Schulterschluss aller großen Parteien gelungen. Aber um welchen Preis? Müssen Sozialisten für ihr politisches Facelifting Antisemitismus dulden oder ihn gar fördern? Respekt gebührt Kandidaten wie Lamia El Aaraje, die in ihren Wahlkreisen NUPES die Stirn bieten und sich für linke Räume einsetzen, in denen sich auch Juden sicher fühlen können.

Der Autor ist Frankreich-Korrespondent und lebt in Paris.

Meinung

Die Jüdischen Gemeinden müssen nachhaltiger werden

Auch die jüdische Gemeinschaft ist in der Pflicht, die Umweltverschmutzung zu bekämpfen

von Nathalia Schomerus  17.03.2023

Einspruch

Rechtsextreme als Schöffen verhindern

Doron Rubin plädiert dafür, die Verfassungstreue von Schöffen gesetzlich zu verankern

von Doron Rubin  17.03.2023

Lamya Kaddor

Tödlicher Antijudaismus

Die menschenverachtende und antisemitische Ideologie des Hamburg-Attentäters war bekannt. Hätte der Amoklauf verhindert werden können?

von Lamya Kaddor  14.03.2023

Ruben Gerczikow

Sportvereine: Kein Handschlag mit Nazis

Die Mär vom unpolitischen Sport muss endlich grundsätzlich hinterfragt werden

von Ruben Gerczikow  10.03.2023

Meinung

Die Hoffnung nicht verlieren

Unsere Redakteurin sorgt sich wegen der Justizreform um Israels Zukunft – und will gerade deshalb den Kontakt nicht abreißen lassen

von Ayala Goldmann  07.03.2023

Hajo Funke

Ein Mittel der Holocaust-Leugnung

Der Inhalt der gefälschten Hitler-Tagebücher wurde erst jetzt rekonstruiert und veröffentlicht – sie offenbaren einen Abgrund an Verzerrung, Geschichtsklitterung und Dreistigkeit

von Hajo Funke  03.03.2023

Aras-Nathan Keul

Symbol einer verfehlten Iran-Politik

Das Islamische Zentrum Hamburg ist laut Verfassungsschutz ein Außenposten der Islamischen Republik – und konnte sich dennoch auf der Leipziger Buchmesse für einen Stand anmelden

von Aras-Nathan Keul  03.03.2023

Meinung

Ethisch und moralisch am Ende

Die Reaktion von Rabbiner Walter Homolka auf das Urteil des Landgerichts Berlin lässt einmal mehr tief blicken

von Philipp Peyman Engel  01.03.2023

Reinhard Schramm

Maaßen, Prien und die CDU

Wie führende Parteimitglieder im Süden Thüringens den Spieß umdrehen und dabei der Partei Schaden zufügen könnten

von Reinhard Schramm  27.02.2023