Roman

Zum Sterben komisch

Unter den zeitgenössischen britisch-jüdischen Schriftstellern zählt der 1964 geborene David Baddiel zu den vielseitigsten. Er schreibt für die Times, das Magazin Esquire und ist ein gefeierter TV-Comedy-Star. Erste große Erfolge hatte er Anfang der 90er-Jahre mit der TV-Serie Fantasy Football League.

Darin gerierte sich der Cambridge-Absolvent als Protagonist einer Bewegung, deren Bezeichnung »New Laddism« sich vom englischen Wort »lad« für den »ganzen Kerl« herleitet: Bier, Sex und Fußball waren in Abkehr vom Gentleman-Ideal die Wunschbilder für harte Briten ohne Manieren, die sich nicht mehr demütigen ließen – weder von emanzipierten Frauen noch von Kontinentaleuropäern.

skurril Baddiel trat als erster Comedian im Wembley Stadion auf. Mit dem Schauspieler Frank Skinner und der Britpop-Band »Lightning Seeds« gestaltete er die Hymne zur Europameisterschaft 1996: Three Lions – Football’s Coming Home wurde weltweit begeistert mitgebrüllt. Wir kennen Baddiel auch als Drehbuchautor der frechen Clash-of-Culture-Komödie Alles koscher! (2010), in der Mahmud Nasir, ein Moslem im Londoner East End, feststellt, dass er ein jüdisches Adoptivkind ist und eigentlich Solly Shimshillewitz heißt.

Nicht zuletzt ist David Baddiel auch Autor. In Halb so wild, seinem jetzt vorliegenden vierten Buch, ist er offenbar ruhiger geworden. Skurril-unverfrorene Schilderungen bestimmter Sexualpraktiken, die sein Erstlingswerk Ab ins Bett (1997) dominierten, fehlen. Vom F-Wort, das in der satirischen Schmonzette Was man so Liebe nennt (2000) schon im Eingangssatz stand, macht er diesmal ebenso moderaten Gebrauch wie von skatologischen Flüchen. Denn es geht in dieser boshaften Tragikomödie neben den großen Lebensthemen – Schönheit, Liebe und Ruhm – auch um den Tod.

Im Sterbezimmer des New Yorker Mount Sinai Hospitals liegt der 82-jährige Eli Gold: »Sechs oder sieben Schläuche schlängelten sich ums Bett und über intravenöse Zugänge in seinem Körper, als würde er sanft von einem Oktopus gewiegt.« Ein alltäglicher Vorgang, ginge es nicht um einen weltbekannten Pulitzer-Preisträger, der zweimal mit dem National Book Award ausgezeichnet wurde, bevor er seinerseits den Nobelpreis ablehnte. Vor dem Krankenhaus tummelt sich die Weltpresse, Philip Roth und Bill Clinton wollen kommen, um der künstlerischen Zelebrität eitle Reverenz zu erweisen.

mischpoke Bei seiner Beschreibung der am Krankenbett auftauchenden Verwandtschaft Golds erweist sich Baddiel als Meister der Schilderung aufgestauter innerfamiliärer Konflikte. Für die achtjährige Tochter Colette aus der fünften Ehe des Autors liegt ihr Vater im »Komma«, statt im Koma. Elis aus London angereister, der dritten Ehe entstammender Sohn Harvey, ein Ghostwriter für halbseidene C-Promis, sinniert in einem Table Dance Club darüber, »dass sich falsche Brüste nicht unabhängig vom Körper bewegen können« und bestellt später in einer Bar Ecke West 40th und 9th Street zwei Bier »bei der Barfrau, deren Ähnlichkeit mit Angela Merkel die Stimmung noch weiter drückt«.

Elis erste Frau Violet entnimmt die Meldungen über dessen Gesundheitszustand den Frühnachrichten auf Channel 4 in einem Londoner Altersheim, »aber die Schwestern lassen die Nachrichtensendungen nie lange auf dem Gemeinschaftsfernseher laufen: Das viele Sterben ist einfach zu nah dran an der Lebensrealität der arthritischen und leberfleckigen Skelette.« Auch der Bruder von Elis verstorbener vierter Frau, ein mormonischer Fundamentalist, ist gekommen, um dem Ex-Schwager eine offene Rechnung zu präsentieren: Seine Schwester ist bei einem mit Eli geplanten Doppelselbstmord ums Leben gekommen, während Gold überlebte.

Damit ist auch für Spannung gesorgt in diesem brillanten Roman voller umwerfender Komik und psychologischem Tiefgang. Baddiel amüsiert uns unaufhörlich durch feinen Humor, pikante Vergleiche und collageartig eingestreute frühere Interviews des Sterbenden, etwa mit Germaine Greer.

übersetzung Friedrich Mader hat in seiner Übertragung aus dem Englischen selbst feinste Anklänge und Wortspiele bewundernswert gemeistert und trägt wesentlich zum Lesevergnügen bei. Die Verlagsentscheidung, den Originaltitel The Death of Eli Gold für deutsche Leser abzuwandeln, macht indes stutzig, da britische Werbung eigentlich dem Prinzip folgt »first impressions go a long way« – der erste Eindruck zählt. Hier galt wohl Lessings Diktum: »Ein Titel muss kein Küchenzettel sein. Je weniger er von dem Inhalt verrät, desto besser.« Sieht man es so, ist es wirklich »halb so wild«.

David Baddiel: »Halb so wild« Übersetzt von Friedrich Mader. Blessing, München 2013, 544 S., 19,99 €

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 20. November bis zum 27. November

 20.11.2025

»Lolita lesen in Teheran«

Klub der mutigen Frauen

Der Israeli Eran Riklis verfilmt die Erinnerungen der iranischen Schriftstellerin Azar Nafisi an geheime Literaturtreffen in Teheran – mit einem großartigen Ensemble

von Ayala Goldmann  20.11.2025

Ausstellung

Sprayende Bildhauerin mit Geometrie

Das Museum Wiesbaden zeigt Werke Louise Nevelsons und eines Künstlerpaares

von Katharina Cichosch  20.11.2025

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  19.11.2025

TV-Tipp

Sie ging über Leichen: Doku »Riefenstahl« zeigt eine überzeugte Nationalsozialistin

Das Erste zeigt Andres Veiels vielschichtigen Dokumentarfilm über Leben und Wirken von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. Der Film geht auch der Frage nach, wie ihre Filme bis in die Gegenwart ausstrahlen

von Jens Hinrichsen  19.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  19.11.2025

Magdeburg

Telemann-Preis 2026 für Kölner Dirigenten Willens

Mit der Auszeichnung würdigt die Landeshauptstadt den eindrucksvollen Umgang des jüdischen Dirigenten mit dem künstlerischen Werk Telemanns

 19.11.2025

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025

Kino

Unter erschwerten Bedingungen

Das »Seret«-Festival zeigt aktuelle israelische Filmkunst in Deutschland – zum ersten Mal nur in Berlin

von Chris Schinke  19.11.2025