Ethik

»Wir müssen nichts ändern«

Richard Stern über die Zukunft der rituellen Beschneidung

von Ingo Way  04.09.2012 10:05 Uhr

Ärztlicher Leiter Richard Stern Foto: cc

Richard Stern über die Zukunft der rituellen Beschneidung

von Ingo Way  04.09.2012 10:05 Uhr

Herr Stern, Sie haben am vergangenen Sonntag das »Ethik Forum 2012« des Jüdischen Krankenhauses zum Thema rituelle Beschneidung moderiert. Was war Ihr Eindruck von der Veranstaltung?
Es waren etwa 150 Gäste da, bei der Podiumsdiskussion gab es keinen emotionalen, sondern einen sehr rationalen und argumentativen Austausch. Mehrere Experten diskutierten das Thema Beschneidung aus medizinischer, rechtlicher, gesellschaftlicher und halachischer Perspektive.

Was war das Fazit der Diskussion?
Die Stimmung war hoffnungsvoll, und das Fazit war: Wenn der Deutsche Ethikrat einmütig empfiehlt, dass rechtliche Standards geschaffen werden, dann ist das eine gute Perspektive. Die Empfehlungen des Ethikrats sind sehr gut nachvollziehbar, damit können die Religionsgemeinschaften gut leben. Also erstens eine umfassende Aufklärung und Einwilligung beider Eltern, eine qualifizierte Schmerzbehandlung, eine fachgerechte Durchführung des Eingriffs und ein entwicklungsabhängiges Vetorecht des Jungen.

Wie wurde das bisher im Jüdischen Krankenhaus gehandhabt?
Derzeit führen wir wegen der Rechtsunsicherheit keine Beschneidungen durch, aber vorher haben wir es ganz genauso gemacht, wie der Ethikrat es empfiehlt. Wir müssen unsere Praxis also gar nicht ändern. Beide Elternteile wurden aufgeklärt und mussten zustimmen. Bei Kindern ab zwei Jahren – also meist muslimischen Jungen – geschah der Eingriff unter Vollnarkose, bei jüngeren Kindern wäre das ein zu großes Risiko, da haben wir eine Lokalanästhesie durchgeführt.

Wie sah es bezüglich des Vetorechts aus?
Wenn ein Kind alt genug ist, um es zu fragen, und es sagt, dass es den Eingriff nicht möchte, dann kann man es natürlich nicht machen. Bei älteren muslimischen Kindern ab sechs oder sieben Jahren werden nicht nur die Eltern aufgeklärt, da fragt man auch die Kinder. Da geht es um das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient.

Was wurde beim Ethik-Forum in rechtlicher Hinsicht diskutiert?
Die juristischen Experten haben noch einmal klargestellt, dass das Kölner Urteil keine rechtliche Verbindlichkeit hat, sich dadurch aber das Risiko erhöht, dass mit einer Anzeige gedroht wird. Es ist aber keine verbindliche rechtliche Auffassung im Sinne eines Gesetzes. Es wurde auch darüber gesprochen, wann mit einer rechtlichen Regelung zu rechnen ist. Die Bundesregierung hat sich ja vorgenommen, sich im Herbst des Themas anzunehmen.

Hatte die Beschneidungsdebatte aus Sicht der Forumsteilnehmer auch etwas Gutes?
Für manche ganz und gar nicht. Einige Teilnehmer waren aber der Meinung: Wenn man der Beschneidungsdebatte etwas Positives abgewinnen kann, dann, dass es einen Dialog gibt, einen Austausch von Argumenten, sodass zumindest diejenigen, die den Religionsgemeinschaften mit Respekt gegenüberstehen, bereit waren, zuzuhören und die Entstehung des Rituals und seinen religiösen Hintergrund nachzuvollziehen.

Mit dem Vorsitzenden des Klinischen Ethik-Komitees des Jüdischen Krankenhauses Berlin sprach Ingo Way.

Netflix-Serie

Balsam für Dating-Geplagte? Serienhit mit verliebtem Rabbiner

»Nobody Wants This« sorgt derzeit für besonderen Gesprächsstoff

von Gregor Tholl  23.10.2024

Herta Müller

»Das Wort ›Märtyrer‹ verachtet das Leben schlechthin«

Die Literaturnobelpreisträgerin wurde mit dem Arik-Brauer-Publizistikpreis ausgezeichnet. Wir dokumentieren ihre Dankesrede

von Herta Müller  23.10.2024

Essay

Die gestohlene Zeit

Der Krieg zerstört nicht nur Leben, sondern auch die Möglichkeit, die Zukunft zu planen, schreibt der Autor Benjamin Balint aus Jerusalem anlässlich des Feiertags Simchat Tora

von Benjamin Balint  23.10.2024

Dokumentation

»Eine Welt ohne Herta Müllers kompromisslose Literatur ist unvorstellbar«

Herta Müller ist mit dem Arik-Brauer-Publizistikpreis ausgezeichnet worden. Lesen Sie hier die Laudatio von Josef Joffe

von Josef Joffe  23.10.2024

Literatur

Leichtfüßiges von der Insel

Francesca Segals Tierärztin auf »Tuga«

von Frank Keil  21.10.2024

Berlin

Jüdisches Museum zeigt Oppenheimers »Weintraubs Syncopators«

Es ist ein Gemälde der Musiker der in der Weimarer Republik berühmten Jazzband gleichen Namens

 21.10.2024

Europa-Tournee

Lenny Kravitz gibt fünf Konzerte in Deutschland

Der Vorverkauf beginnt am Mittwoch, den 22. Oktober

 21.10.2024

Geistesgeschichte

Entwurzelte Denker

Steven Aschheim zeigt, wie jüdische Intellektuelle den Herausforderungen des 20. Jahrhunderts begegneten

von Jakob Hessing  21.10.2024

Heideroman

Wie ein Märchen von Wölfen, Hexe und Großmutter

Markus Thielemann erzählt von den Sorgen eines Schäfers

von Tobias Kühn  21.10.2024