Literatur

Wiederbegegnung mit Holden Caulfield

In neunjähriger Arbeit entstanden Foto: Simon & Schuster

Hat er oder hat er nicht? Das war stets die Frage. Hat Jerome David Salinger (1919–2010), der Verfasser des Weltbestsellers The Catcher in the Rye (Der Fänger im Roggen), nach seinem Verstummen 1965 weitergeschrieben? Und wenn ja: Was hat er zu Papier gebracht? Und warum hat er nach dem Roman aus dem Jahr 1951 und den 35 Erzählungen und Kurzgeschichten nie wieder etwas publiziert? »Im Nicht-Veröffentlichen liegt ein herrlicher Frieden« – so hatte es der Sohn eines jüdischen Kaufmanns und Enkel eines Rabbiners 1974 gegenüber der New York Times ausgedrückt.

Gut drei Jahre nach seinem Tod scheinen sich die hartnäckigen, von Biografen wie Paul Alexander und Kenneth Slawenski gestreuten Gerüchte zu bestätigen, dass der mysteriöse Autor in den 45 Jahren, die er in völliger Abgeschiedenheit in seinem Waldhaus in Cornish, New Hampshire, verbracht hat, äußerst fleißig war und seinen Tresor mit reichlich druckreifem Lesestoff für die Nachwelt bestückt hat. Von sieben bis 15 Manuskripten war bisher die Rede.

Dokumentation Genaueres soll nun die US-Dokumentation Salinger von David Shields und Shane Salerno ans Licht bringen, die am 6. September als Film und kurz vorher als Buch bei Simon & Schuster erschien. Demnach können sich Salinger-Fans auf Neuigkeiten von Holden Caulfield und der jüdisch-irischen Großfamilie Glass freuen: Fünf neue Bücher – so die sensationelle Nachricht – werden Salingers Nachlassverwalter ab 2015 für die Öffentlichkeit freigeben.

Colleen O’Neill, die gemeinsam mit Salingers Sohn Matthew über das literarische Erbe ihres Mannes wacht, hat die freudige Nachricht bisher nicht bestätigt. Aber die Verfasser des investigativen Doppelpakets in Sachen Salinger – Hollywood-Drehbuchautor Salerno (Armageddon) und Schriftsteller Shields – behaupten, »zwei voneinander unabhängige Quellen« für ihre Information zu haben. In neunjähriger Arbeit, zu der 200 Interviews gehören und Recherchereisen quer durch die USA und nach Europa, hat Salerno mit einem Etat von zwei Millionen Dollar aus eigener Tasche erstaunliches Material, seltene Fotos des Eremiten sowie unbekannte Dokumente zusammengetragen.

Sollte sich die Ankündigung bewahrheiten, erwarten uns höchst interessante und zudem sehr unterschiedliche Werke. Da ist zunächst die Rede von einer Anthologie mit dem Titel The Family Glass. Neben den bekannten Geschichten Franny und Zooey (1961) und Hebt an den Dachbalken, Zimmerleute und Seymour, eine Einführung (1963) wird sie fünf neue Episoden sowie einen Stammbaum enthalten, der die Verhältnisse zwischen Les, Bessie, Seymour, Buddy, Boo Boo, Walt, Walker, Zooey und Franny aufschlüsselt.

Familiengeschichte In der komplett umgearbeiteten und bisher unveröffentlichten Geschichte The Last and Best of the Peter Pans (1942) wird es eine Wiederbegegnung mit Holden Caulfield, dem jugendlichen Helden aus dem Fänger im Roggen, und dessen Geschwistern geben. Ergänzt um andere Holden-Storys verspricht Salerno »eine komplette Geschichte der Caulfield-Familie«.

Die beiden sicher interessantesten Titel basieren auf Salingers Erlebnissen als Soldat im Zweiten Weltkrieg: So habe er eine Novelle in Form eines authentischen Tagebuchs seines Armeefreundes Paul Fitzgerald verfasst und in einem Roman die komplizierte Beziehung und kurze Ehe mit der deutschen Ärztin Sylvia Louise Welter verarbeitet, die möglicherweise der Gestapo gedient hat. Das Paar hatte im Oktober 1945 geheiratet, nachdem Salinger als Infanterist im Rheinland und in Bayern gekämpft, bei der Befreiung des Konzentrationslagers Kaufering IV geholfen und Jagd auf untergetauchte Nazis gemacht hatte.

Mehr oder weniger literarisches Neuland hat Salinger mit dem »in Geschichten erzählten Handbuch« zum Vedanta-Hinduismus betreten, dem er sich auf der Höhe seines Ruhmes zuwandte und den er bis zu seinem Tod praktizierte.

Kernthese Unklar ist noch, ob Little, Brown and Company, Salingers Hausverlag, die neuen Werke herausbringen darf oder vielleicht doch die kleine Orchises Press in Virginia, der Salinger zu Lebzeiten erlaubt hatte, seine letzte Veröffentlichung aus dem New Yorker, die Erzählung Hapworth 16, 1924, als Buch herauszubringen (wozu es allerdings bis heute nicht gekommen ist).

Die in der Tradition der Oral History montierte Film-Buch-Biografie, in der literarische Wegbegleiter wie Tom Wolfe oder Gore Vidal, Freunde und Verwandte des Autors zu Wort kommen, beleuchtet auch Salingers Affinität zu jungen Frauen, angefangen bei Jean Miller, einer 14-Jährigen, die er 1949 in Florida getroffen hatte und die ihn zu der wunderbaren Geschichte Für Esmé – in Liebe und Elend inspirierte.

Die Kernthese von Salernos und Shields Salinger lautet: »Der Krieg brachte ihn als Mann um und machte ihn zu einem großen Künstler, in der Nachkriegszeit bot ihm die Religion spirituellen Trost und tötete seine Kunst.« Für seine lesenden Fans, so scheint es, geht der Fall Salinger nach 50 Jahren des geduldigen Wartens doch noch gut aus – sofern sie nicht die Kunst seiner frühen Jahre erwarten.

David Shields und Shane Salerno: »Salinger«. Simon & Schuster, New York 2013, 720 Seiten, 37,50 $

Eurovision Song Contest

CDU-Politiker: ESC-Boykott, wenn Israel nicht auftreten darf

Steffen Bilger fordert: Sollte Israel vom ESC ausgeschlossen werden, müsse auch Deutschland fernbleiben. Er warnt vor wachsenden kulturellen Boykottaufrufen gegen den jüdischen Staat

 18.09.2025

Ehrung

Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland für Tamar Halperin

Die in Deutschland lebende israelische Pianistin ist eine von 25 Personen, die Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 1. Oktober ehrt

von Imanuel Marcus  18.09.2025

Ausstellung

Liebermann-Villa zeigt Architektur-Fotografien jüdischer Landhäuser

Unter dem Titel »Vision und Illusion« werden ab Samstag Aufnahmen gezeigt, die im Rahmen des an der University of Oxford angesiedelten »Jewish Country Houses Project« entstanden sind

 18.09.2025

Debatte

Rafael Seligmann: Juden nicht wie »Exoten« behandeln

Mehr Normalität im Umgang miteinander - das wünscht sich Autor Rafael Seligmann für Juden und Nichtjuden in Deutschland. Mit Blick auf den Gaza-Krieg mahnt er, auch diplomatisch weiter nach einer Lösung zu suchen

 18.09.2025

Kino

Blick auf die Denkerin

50 Jahre nach Hannah Arendts Tod beleuchtet eine Doku das Leben der Philosophin

von Jens Balkenborg  18.09.2025

»Long Story Short«

Die Schwoopers

Lachen, weinen, glotzen: Die Serie von Raphael Bob-Waksberg ist ein unterhaltsamer Streaming-Marathon für alle, die nach den Feiertagen immer noch Lust auf jüdische Familie haben

von Katrin Richter  18.09.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 18. September bis zum 2. Oktober

 18.09.2025

Fußball

Mainz 05 und Ex-Spieler El Ghazi suchen gütliche Einigung

Das Arbeitsgericht Mainz hatte im vergangenen Juli die von Mainz 05 ausgesprochene Kündigung für unwirksam erklärt

 18.09.2025

Hochstapler

»Tinder Swindler« in Georgien verhaftet

Der aus der Netflix-Doku bekannte Shimon Hayut wurde auf Antrag von Interpol am Flughafen festgenommen

 18.09.2025