Grandson

Wenn Rock ’n’ Roll eine Mizwa ist

Rockender Enkel: Grandson Foto: imago images / ZUMA Press

Grandson

Wenn Rock ’n’ Roll eine Mizwa ist

Er ist der neue Star am Pophimmel – und ein jüdischer Junge aus Toronto, der den Soundtrack für das Gute liefern will

von Sophie Albers Ben Chamo  14.01.2021 10:01 Uhr

Auf den ersten Blick könnte man den kanadischen Popstar Grandson tatsächlich für einen netten Enkelsohn halten. Dieses offene Lächeln. Dieser freundliche Lockenkopf.

Auf den zweiten Blick ist Death of an Optimist, so der Name seines sehnlichst erwarteten Debüts, allerdings ein knallhartes politisches Statement, überschäumend vor Wut über die Bigotterie der Herrschenden, die laut Grandson die Welt ihrer Enkel zerstören, weil sie so sehr damit beschäftigt sind, am Jetzt zu verdienen. Das ist Bob Dylan mit anderen Mitteln. Sex und Drugs sucht man im Rock ’n’ Roll von Jordan Edward Benjamin, wie Grandson mit bürgerlichem Namen heißt, jedoch vergeblich, denn der 27-Jährige hat einen Plan, für den es sich lohnt, nüchtern zu bleiben.

Das ist Bob Dylan mit anderen Mitteln.

Toronto Aufgewachsen in Toronto als Sohn einer säkularen jüdischen Familie hat Benjamin mit 14 die Musik als Ausdrucksmittel entdeckt, hörte Bands wie Linkin Park und Blink-182 und schrieb Hip-Hop-Texte. Ältere Schwestern und coole Eltern hatten ihn bis dahin mit Musik von Bill Withers über Black Sabbath bis A Tribe Called Quest versorgt. Und dann war da noch sein Großvater, der Kultur und gutes Essen schätzte und mit seinem Enkel regelmäßig ins Kino ging, um »Actionfilme zu sehen und Popcorn zu essen«, wie Grandson im »Zoom«-Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen erzählt. »Im Auto haben wir dann immer Frank Sinatra und Jazz gehört.«

Vor sechs Jahren ist Benjamin nach Los Angeles gezogen und hat sich innerhalb nur eines Jahres eine beachtliche Fanbase aufgebaut – mit einem unverwechselbaren eigenen Musikstil zwischen Rock, Hip-Hop und Elektro und mit drängenden politischen Aussagen über die Lebensängste und schlechten Zukunftsaussichten junger Menschen. Seine Single-Veröffentlichungen und eine EP-Trilogie wurden Millionen Male abgerufen, und nun ist also das erste Album da.

»Du musst nicht Greta Thunberg sein, um in deiner Gemeinschaft etwas zu bewegen.«

Grandson

»Mit diesem Projekt wollte ich so ehrlich wie möglich über Hoffnung sprechen«, sagt Benjamin ernst. »In Zeiten von Hassrhetorik und Spaltung, von Klimawandel und Pandemie wäre es unverantwortlich zu sagen, dass man nur optimistisch bleiben soll. Man muss auch all die Herausforderungen benennen, die vor uns liegen. Das kann entmutigend sein, aber das ist immer noch besser als Apathie!« Viele Menschen würden sich heute mit inhaltsloser Popkultur betäuben, oder gleich mit Opiaten. Grandson will dagegenhalten, will Menschen und Problemen eine Stimme geben, die sonst niemand hört. »Ich mache den Soundtrack für die Superhelden, die etwas ändern!«

»Die Revolution ist auf allen Ebenen möglich. Du musst nicht Greta Thunberg sein, um in deiner Gemeinschaft etwas zu bewegen«, ist der Sänger überzeugt. »Ich hoffe, ich kann Menschen dazu inspirieren, etwas zu tun.« Und auch, wenn es sich vergeblich anfühle, »die Mühe ist es wert, egal, was am Ende dabei herauskommt. Denn eines Tages musst du für deine Taten einstehen, und dann blickst du zurück auf diese Zeit in der Geschichte und hast ein Zeichen gesetzt gegen Angst und Hass«.
Schließlich strahlt er wieder und sagt: »Außerdem fühlt es sich gut an, etwas für andere zu tun! Es fühlt sich gut an, diesen Menschen Gehör zu verschaffen! Wir sind Juden: Gutes Tun ist eine Mizwa!«

Synagoge Auch wenn Benjamin betont, dass er nicht religiös ist, glaubt er sehr wohl, dass etwa die Musik aus seiner Synagoge und jüdischen Gemeinde ihn beeinflusst hat. Er lacht laut und sagt: »Wenn man meinen erfolgreichsten Song ›Blood // Water‹ auf der Klarinette nachspielt und den düsteren Text ignoriert, könnte er als Klezmer auf einer Barmizwa-Playlist landen.«

Und dann erzählt er von einem Konzert in Deutschland, das er sein Leben lang nicht vergessen wird: »Ich war in Hamburg, das Konzert war in einem Bunker. Nach dem Krieg haben sie versucht, ihn abzureißen, aber dann hätten sie die ganze Nachbarschaft sprengen müssen, also haben sie ein Kunstzentrum und Konzerträume daraus ge macht. Und dann komme ich mit meiner Familiengeschichte. Generationen und Generationen von Juden. Und ich stehe auf einer Bühne in einem ehemaligen Nazi-Bunker und spiele Rockmusik für 900 deutsche Kids – mehr Rock ’n’ Roll geht nicht!«

Grandson: »Death of an Optimist«. Fueled by Ramen 2020

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