Berlin

Wenn der Rebbe rockt

Macht authentische jüdische populäre Musik: Sharon Brauner Foto: Marina Maisel

Evergreens haben musikalisch etwas von einem zweischneidigen Schwert an sich. Man hört sie gerne, weil man die Lieder kennt und mag; aus ebendiesem Grund nimmt man sie aber oft auch nur mit halbem Ohr und nebenbei wahr. Evergreens so zu präsentieren, dass das Publikum mitgeht, als würde es die Songs zum ersten Mal im Leben hören, verlangt von Interpreten ein hohes Maß an Kunstfertigkeit.

Sharon Brauner schafft das in ihrem neuen Programm Best of im Berliner Tipi am Kanzleramt. Wenn die 47-Jährige etwa das Lied vom Rebbe Elimelech singt, kommt nur kurz nostalgisches Wiedererkennen auf. Dann aber rockt der Rebbe. Brauner steigert das Tempo und legt in die jiddische Volksweise eine stimmliche Kraft, die jedem Blues gut anstünde. Und sie bewegt sich auf der Bühne mit einer Energie, wie man sie sonst nur von Rockkonzerten kennt. Janis Joplin oder Gianna Nanini kommen einem in den Sinn.

lebensfreude Das ist mehr als nur eine perfekte Show. Sicher, jede Geste, jede Bewegung sitzt. Schließlich ist Sharon Brauner ausgebildete Schauspielerin. Sie hat am legendären Lee Strasberg Institute in New York studiert und in mehr als 50 Film- und Fernsehproduktionen mitgewirkt. Aber im Tipi am Kanzleramt tritt sie nicht als Darstellerin auf. Den Schweiß im Gesicht und auf dem Körper nach jeder Nummer kann man nicht simulieren. Ebenso wenig wie den Enthusiasmus, den die Sängerin ausstrahlt. Ihr macht das, was sie tut, sichtlich Spaß. Sie freut sich wie ein kleines Mädchen. Brauner ist authentisch. Entweder das, oder eine geniale Actrice.

Authentisch ist auch das Material, das sie vorträgt. Kein Klezmer. Der war nie, entgegen einer in Deutschland weit verbreiteten Vorstellung, die Musik der Juden Osteuropas. Wirklich populär waren Volksweisen – »Belz« und »Die Mame ist gegangen« etwa, oder Schlager vom Typ »Bei mir bistu schejn« und der hinreißenden Hommage an Amerikas jüdisches Rentnerparadies Miami Beach.

Brauner hat diese Songs nicht vom Blatt einstudieren müssen. Sie kennt und liebt sie, seit sie mit neun Jahren den Plattenschrank im elterlichen Wohnzimmer entdeckte. Andere, wie »Zu vil lib« hat ihr der Vater vorgesungen, als sie ein Mädchen war.

Männer Der schon erwähnte Rebbe Elimelech »is geworn sejer frejlech« heißt es in dem Lied. Fröhlich geht es auch in dem Programm zu. Die Schoa ist kein Thema. Sharon Brauner ist keine Mahn- und Gedenksängerin. Sonderlich religiös ist sie auch nicht. Und sich nur unter Juden zu bewegen, kann sie sich kaum vorstellen. Sie erzählt von den Männern in ihrem Leben: Christen waren darunter, ein Muslim, immerhin auch ein Jude.

Aber der, berichtete sie einmal, hatte eine Hundehaare-Allergie und stellte sie vor die Wahl: Die Hunde oder ich. Sharon Brauner hat heute mehrere Hunde und ist mit Matthias Freiherr Teuffel von Birkensee verheiratet.

Wer dieses Konzert besucht, bekommt auf diese Art und Weise ganz nebenbei eine Lektion in entspannter jüdischer Normalität. Zu dieser Normalität gehört auch, dass sich Juden nicht ständig nur mit Jüdischem beschäftigen, sondern hauptsächlich mit denselben Dingen wie andere Leute auch. Weshalb das Programm nur zur einen Hälfte aus jüdischen Liedern besteht, zur anderen aus eigenen, deutschsprachigen Songs, in denen es vor allem um die Liebe geht – die romantische wie die handfeste körperliche.

Wer authentische jüdische populäre Musik liebt oder sie kennenlernen will, muss jetzt nicht mehr auf die alten Barry-Sisters- oder Sophie-Tucker-Aufnahmen von anno dazumal zurückgreifen. Es gibt Sharon Brauner hier und heute. Zum Glück.

Sharon Brauner & Band: »Best of«, 30. und 31. März im Tipi am Kanzleramt, Große Querallee, 10557 Berlin

www.tipi-am-kanzleramt.de

Fernsehen

»Mord auf dem Inka-Pfad«: War der israelische Ehemann der Täter?

Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Die ARD packt das Geschehen nun in einen sehenswerten True-Crime-Vierteiler

von Ute Wessels  30.04.2025

Sehen!

»Der Meister und Margarita«

In Russland war sie ein großer Erfolg – jetzt läuft Michael Lockshins Literaturverfllmung auch in Deutschland an

von Barbara Schweizerhof  30.04.2025

20 Jahre Holocaust-Mahnmal

Tausende Stelen zur Erinnerung - mitten in Berlin

Selfies auf Stelen, Toben in den Gängen, Risse im Beton - aber auch andächtige Stille beim Betreten des Denkmals. Regelmäßig sorgt das Holocaust-Mahnmal für Diskussionen. Das war schon so, bevor es überhaupt stand

von Niklas Hesselmann  30.04.2025

Medien

Leon de Winter wird Kolumnist bei der »Welt«

Bekannt wurde er vor mehr als 30 Jahren mit Romanen wie »Hoffmanns Hunger«. Jetzt will der niederländische Autor Leon de Winter in Deutschland vermehrt als Kolumnist von sich hören lassen

von Christoph Driessen  29.04.2025

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  29.04.2025

Berlin

Antisemitismusbeauftragter für alle Hochschulen soll kommen

Details würden derzeit noch im Senat besprochen, sagte Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra

 29.04.2025

Jerusalem

Seltenes antikes Steinkapitell wird in Israel ausgestellt

Ein Fund aus dem Jahr 2020 gibt israelischen Archäologen Rätsel auf. Die Besonderheit des Steinkapitells aus römischer Zeit: Es ist mit einem mehrarmigen Leuchter - im Judentum Menorah genannt - verziert

 29.04.2025

Berlin

Jüdisches Museum erforscht Audio-Archiv von »Shoah«-Regisseur

Claude Lanzmann hat mit seiner epochalen Dokumentation »Shoah« Geschichte geschrieben. Das Jüdische Museum Berlin nimmt ein Doppeljubiläum zum Anlass, um das umfangreiche Recherchematerial des Regisseurs zu erschließen

von Alexander Riedel  29.04.2025

Köln

»Charlie Hebdo«-Überlebender stellt Comic zu NS-Raubkunst vor

»Zwei Halbakte« heißt ein 1919 entstandenes Gemälde von Otto Mueller. Die Geschichte des Kunstwerks hat der französische Zeichner Luz als Graphic Novel aufgearbeitet. Mit teils sehr persönlichen Zugängen

von Joachim Heinz  28.04.2025