Psychologie

Wenn das Herz wehtut

»Im Gehirn laufen Mechanismen ab, die als Folge einer Depression durchaus echten Schmerz verursachen können«. Foto: Thinkstock

Da ist sie wieder. Die schwarze Wolke, die sich wie ein Schatten auf die Psyche legt und nicht mehr weichen will. Mit der Lebensfreude ist erst einmal Feierabend. »Weltschmerz« oder »Mein Herz tut weh« sind dann oftmals die Redewendungen, um den tiefen Kummer und die seelischen Qualen in Worte zu fassen, mit denen eigentlich eine handfeste Depression gemeint ist. Offen war bis dato die Frage, ob körperliche und seelische Schmerzen nicht nur in ihrer sprachlichen Umschreibung im Zusammenhang stehen.

Beantworten kann diese nun ein Forscherteam des Forum for Brain and Behavior an der Universität Haifa. Dort hat man die Interaktion verschiedener Teile des Gehirns unter die Lupe genommen und herausgefunden, dass zwischen emotionalem und physischem Leid neurologisch durchaus ein Zusammenhang besteht.

»Im Gehirn laufen Mechanismen ab, die als Folge einer Depression durchaus echten Schmerz verursachen können«, erklärt Gal Richter-Levin, der Leiter des Projekts. »Dieser Bereich wurde noch nie so richtig unter die Lupe genommen, obwohl sehr viele Patienten, die unter depressiven Stimmungen leiden, immer wieder auch von ganz realen physischen Schmerzen berichten.«

Höhlengrau Dabei sind die Reaktionen des Gehirns auf Furcht und Anspannungen weitestgehend erforscht. Bekannt ist ebenfalls, dass Depressionen sowie ein Posttraumatisches Stresssyndrom auftreten können, wenn diese Mechanismen nicht so funktionieren, wie sie sollen. Eine dieser dafür verantwortlichen Regionen im Gehirn ist das Periaquäduktale Grau, auch »zentrales Höhlengrau« genannt, eine Ansammlung von Nervenzellkörpern im Mittelhirn, die nicht nur Angst- und Fluchtreflexe steuert, sondern auch zuständig für die Schmerzunterdrückung ist.

Bisherige Untersuchungen haben gezeigt, dass als unangenehm empfundene Situationen wie Anspannung und Stress die Amygdala, die wesentlich an der Entstehung von Angst beteiligt ist und eine Schlüsselrolle bei der emotionalen Bewertung von potenziellen Gefahren spielt, durch andere Teile des Gehirns stimuliert wird und daraufhin Nervensignale an genau dieses Höhlengrau sendet.

Amygdala »Wir aber haben herausgefunden, dass die Kommunikation zwischen Amygdala und Höhlengrau in beide Richtungen läuft«, berichtet Richter-Levin. »Dadurch kann nun untersucht werden, welches die neurologische Basis ist, wenn bei extremen Stimmungen Schmerzen entstehen.« Die Wissenschaftler in Haifa arbeiten dabei eng mit der University of Washington sowie zwei Pharmafirmen aus Israel und Deutschland zusammen, die auf Basis dieser Ergebnisse entsprechende Medikamente entwickeln wollen.

Mit ihren Entdeckungen machten die Forscher aus Haifa nicht zum ersten Mal Schlagzeilen in der Fachpresse. Bereits vor sieben Jahren hatten sie auf der Grundlage einer umfangreichen Versuchsreihe belegen können, dass Stress in jungen Jahren die Entwicklung genau jener Regionen im Gehirn beeinflussen kann, die für die emotionale Entwicklung von Bedeutung sind.

Dabei setzten sie noch nicht geschlechtsreife Ratten zahlreichen Belastungen aus, beispielsweise den Gerüchen von Tieren, die die kleinen Nager auf dem Speiseplan haben. Das Resultat: 37 Prozent der gestressten Jungratten wiesen in ihrem späteren Leben depressive Züge auf, weitere 37 Prozent zeigten sich in ihrem Verhalten sehr viel ängstlicher. Ungestresste Ratten der gleichen Altersgruppe dagegen neigten nur zu 20 Prozent zu mehr Furcht und hatten überhaupt keine Depressionen.

Fehlentwicklungen Dann wiederholten die Forscher die Versuchsreihe mit älteren Tieren. Beide Gruppen neigten danach zwar zu ähnlichen Verhaltensmustern, die präpubertär in die Mangel genommenen Nager zeigten aber zu 42 Prozent echte Angststörungen, und zu 29 Prozent wurden sie auch depressiv. Die postpubertären dagegen waren zu 50 Prozent überängstlich, kannten aber keine Depressionen. »Unsere Ergebnisse zeigen, dass Stress in der Kindheit die Fähigkeit beeinträchtigt, im Erwachsenenalter damit umzugehen«, fasst Richter-Levins Kollege Michael Tsoory die Ergebnisse zusammen. »Die Ursachen dafür sind Fehlentwicklungen des Gehirns, die in jungen Jahren ausgelöst werden.«

14 Prozent aller Israelis leiden irgendwann einmal in ihrem Leben an einer klinischen Depression. Damit liegen sie im internationalen Vergleich durchaus im Durchschnitt. Aber weil viele die Krankheit einfach nur für schlechte Laune halten, wird sie oftmals als harmlos abgetan. Bemerkenswert ist übrigens die ungleiche Verteilung auf die Geschlechter: Während ein Viertel aller israelischen Frauen mindestens einmal an einer Depression leidet, ist es lediglich ein Achtel aller Männer.

Nicht wenige von ihnen suchen aus Angst vor Stigmatisierung oder einer möglichen Abhängigkeit von Psychopharmaka keinerlei ärztlichen Rat. In einer Umfrage von MarketWatch unter 505 Israelis, die in ihrem Leben eine depressive Phase durchlitten hatten, gaben 80 Prozent an, dass sie niemals Antidepressiva genommen haben. Zu beobachten war ebenfalls die Tatsache, dass ältere Menschen eher Medikamente verschrieben bekamen als jüngere.

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