Kunst

»Was übrig bleibt, ist ein Farbklecks«

Drorit Gur Arie über die Ausstellung »Interference« in Kreuzberg, den Brexit und Trump

von Katharina Schmidt-Hirschfelder  30.01.2017 11:10 Uhr

Drorit Gur Arie Foto: pr

Drorit Gur Arie über die Ausstellung »Interference« in Kreuzberg, den Brexit und Trump

von Katharina Schmidt-Hirschfelder  30.01.2017 11:10 Uhr

Frau Gur Arie, Sie kuratieren eine Ausstellung zum Thema »Interference« in der Berliner Galerie Circle1, die am 20. Januar eröffnet wurde. Worum geht es dabei?
Ich habe für die Ausstellung drei verschiedene Künstler eingeladen – Guy Goldstein aus Tel Aviv, Ariel Reichman und Vadim Zakharov, einen Moskauer Konzeptualisten. Obwohl alle drei sehr verschieden sind, haben sie in ihren Arbeiten eines gemeinsam: Sie brechen die Reihenfolge und logische Struktur von Erzählweisen auf. Der eine mit Fotografie und Malerei, die anderen mit Installation, Sound oder Film.

Welche Idee steht dahinter?

Geschichte und Erinnerung zu hinterfragen, aber auch unsere eigene Wahrnehmung. Das ist umso wichtiger im Zeitalter von Fake News. Schauen wir uns die Wirklichkeit an: Man hat den Eindruck, da läuft etwas schief: ob in Politik, Wirtschaft oder Gesellschaft. Wir haben Flüchtlinge, ökonomische Probleme, Brexit und Trump. Die traditionellen Narrative sind aus den Angeln gehoben. Das ist für mich symbolisch für diese Ausstellung. Politik soll jedoch hier nicht das Erste sein, das ins Auge sticht, sondern Poesie. Dabei spielt auch Ironie immer eine große Rolle.

Inwiefern?
Vadim Zakharov zum Beispiel nahm Porträts von Diktatoren – Hitler, Stalin Mao – und druckte sie jeweils 100-mal auf Gold – so lange, bis das Gesicht sich auflöste in einem Fleck. Die Idee dahinter ist, dass man die Furcht gebietende Figur nicht mehr erkennen kann. Alles, was übrig bleibt, ist ein Farbklecks. Guy Goldstein wiederum verwebt verschiedene Geschichten miteinander.

Was hat Sie persönlich daran gereizt?

Die Arbeiten der drei Künstler sind ein Abenteuer – es gibt eine Art Anfang, aber Verlauf und Ende sind offen und entsprechen ganz und gar nicht den Erwartungen des Betrachters. Als Kuratorin empfinde ich jede Ausstellung immer als ein Abenteuer.

War das Ihre erste Zusammenarbeit mit den Künstlern?

Mit Guy Goldstein habe ich schon in Israel zusammengearbeitet. Seine Kunst ist ein gutes Beispiel für das, was ich eben erwähnte. So hat er etwa die Klänge der drei monotheistischen Religionen in Israel aufgenommen – den Ruf zum Schabbat, den Ruf des Muezzins und Kirchenglocken – und diese Klänge mithilfe eines Geräts in Bilder umgewandelt.

Sie arbeiten bereits zum zweiten Mal mit Circle1 zusammen. Was ist das Besondere an der Kreuzberger Galerie?
Sie wurde 2013 von israelischen Künstlern als Plattform für Kunst und Kultur gegründet, die mittlerweile in Berlin leben. Das Reizvolle an der Galerie ist, dass die Künstler von Anfang an auf Dialog bedacht waren – sowohl in die Berliner Kunstszene hinein als auch in dem Punkt, dass sie interkulturell und interdisziplinär ausgerichtet sind.

Muss ein Museum heute neben Malerei und Skulptur auch mit anderen Ausdrucksformen arbeiten, um Besucher zu erreichen – wie Fotografie, Video, Musik, Architektur, Performance?
Ich denke schon. Wir müssen neue Ideen für die Museumsarbeit entwickeln. Denn heute kann man sich Museen nicht mehr ohne all diese Elemente vorstellen. Man kann nicht nur isoliert über Malerei oder Musik sprechen – die junge Generation hat eine andere Herangehensweise. Wir müssen einfach unsere Seh- und Hörgewohnheiten ändern, denn die Welt um uns herum ist vielschichtig.

Welche Rolle spielt Politik im Museum?
Eine große, besonders in Israel. Dennoch denke ich, wir sollten neue Erfahrungen mit politischen Themen machen. Kunst kann dabei ein Mittel sein, aber kein offensichtliches, sondern ein poetisches. Das haben wir hier in der »Interference«-Ausstellung gut hinbekommen, sie regt an, bringt einen zum Lachen, stimmt nachdenklich, verstört. Sie ist wie eine Nadel im Ballon. Genauso sollte Kunst sein – dass etwas Neues daraus entsteht.

Mit der Kuratorin sprach Katharina Schmidt-Hirschfelder.

Drorit Gur Arie ist Direktorin und Chefkuratorin des Petach Tikva Museum of Art in Israel. Zurzeit kuratiert sie die Ausstellung »Interference« in der Berliner Galerie Circle1. Die Schau läuft bis zum 25. März.

Weitere Infos: www.circle1berlin.com

Musik

»Piano Man« verlässt die Bühne: Letztes Billy-Joel-Konzert

Eine Ära geht zuende: Billy Joel spielt nach zehn Jahren vorerst das letzte Mal »Piano Man« im New Yorker Madison Square Garden. Zum Abschied kam ein Überraschungsgast.

von Benno Schwinghammer  26.07.2024

Zahl der Woche

16 Sportarten

Fun Facts und Wissenswertes

 26.07.2024

Lesen!

Ein gehörloser Junge und die Soldaten

Ilya Kaminsky wurde in Odessa geboren. In »Republik der Taubheit« erzählt er von einem Aufstand der Puppenspieler

von Katrin Diehl  25.07.2024

Ruth Weiss

»Meine Gedanken sind im Nahen Osten«

Am 26. Juli wird die Schriftstellerin und Journalistin 100 Jahre alt. Ein Gespräch über ihre Kindheit in Südafrika, Israel und den Einsatz für Frauenrechte

von Katrin Richter  25.07.2024

Streaming

In geheimer Mission gegen deutsche U-Boote

Die neue Action-Spionagekomödie von Guy Ritchie erinnert an »Inglourious Basterds«

von Patrick Heidmann  25.07.2024

Bayreuth

Das Haus in der Wahnfriedstraße

Die Debatten um Richard Wagners Judenhass gehen in eine neue Runde. Nun steht sein antisemitischer Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain im Fokus

von Axel Brüggemann  25.07.2024

Sehen!

»Die Ermittlung«

Der Kinofilm stellt den Aussagen der Zeugen die Ausflüchte der Angeklagten gegenüber

von Ayala Goldmann  25.07.2024

Kommentar

Der »Spiegel« schreibt am eigentlichen Thema vorbei

In seiner Berichterstattung über das Abraham-Geiger-Kolleg konstruiert das Magazin eine Konfliktlinie

von Rebecca Seidler  25.07.2024 Aktualisiert

Literatur

Dieses Buch ist miserabel. Lesen Sie dieses Buch!

Eine etwas andere Kurzrezension von Ferdinand von Schirachs Erzählband »Nachmittage«

von Philipp Peyman Engel  24.07.2024 Aktualisiert