Roman

Vertraut nicht auf Fürsten

Kritisch geblieben: Nadine Gordimer Foto: imago

Roman

Vertraut nicht auf Fürsten

Nadine Gordimer rechnet mit Südafrikas neuen Herrschern ab

von Wolf Scheller  12.11.2012 19:08 Uhr

Der Schriftsteller, hat Nadine Gordimer einmal gesagt, stehe unter dem Druck der Erwartung jener, deren Ziele und Ideale er teilt. »Seine Integrität als Mensch verlangt von ihm, dass er jedes Opfer bringt, das dem Kampf um Freiheit nützt.« Es ist diese Haltung, die das Werk der heute 89-jährigen Schriftstellerin prägt, für das sie 1991 mit dem Literaturnobelpreis geehrt wurde.

In den vergangenen Jahren war es ruhiger um Nadine Gordimer geworden. Ihre Mission, die Unterdrückung der Schwarzen im Land am Kap in Worte zu fassen und anzuprangern, schien erfüllt zu sein. Die großen Schlachten um die Apartheid gehören seit Nelson Mandelas Amtsantritt als Präsident 1994 der Vergangenheit an. Gordimers Schreibens nahm seither eine neue Richtung. Es ging immer wieder um Lieben und Sterben, was durch den Tod ihres langjährigen Lebensgefährten Reinhold Cassirer noch verstärkt wurde.

Doch in ihrem neuen Roman Keine Zeit wie diese nimmt sich die Autorin nach jahrelanger Abstinenz wieder die politische Entwicklung in Südafrika vor. Im Mittelpunkt steht ein junges Paar aus dem erfolgreichen Mittelstandsmilieu. Steve ist weißer Südafrikaner, Sohn eines Christen und einer Jüdin. Jabulile, seine Frau, ist schwarz. Die beiden haben sich im gemeinsamen Kampf gegen die rassistische Unterdrückung kennengelernt. Sie haben eine Tochter, bewohnen ein hübsches Haus. Steve unterrichtet als Naturwissenschaftler an der Uni, Jabulile studiert Jura.

desillusioniert Nadine Gordimer bleibt dem Paar auf den Fersen und erstellt so eine kritische Chronik der Jahre seit dem Ende der Apartheid. In ihrem radikalsten Roman, Julys Leute von 1981, hatte die Autorin eine Welt der Schwarzen imaginiert, in der die Weißen keine beherrschende Rolle mehr spielen. Diese Vision ist am Kap inzwischen Wirklichkeit geworden. Doch eine heile Welt ist das heutige Südafrika unter der Dominanz des African National Congress beileibe nicht. Gordimers Roman ist das Zeugnis einer nachrevolutionären Desillusionierung, die den Kampf von einst als bloßes Mittel zum Zweck der jetzt herrschenden neuen Klasse erkennt.

Der Roman stellt Fragen über Fragen und stößt dabei immer wieder auf Heuchelei und Doppelmoral. Dafür steht das Gespräch zwischen Jabulile und ihrem Vater, der als Parteigänger des African National Congress bis heute nichts auf die schwarze Befreiungsbewegung kommen lässt. Keine Zeit wie diese ist über weite Strecken eine politische Abrechnung mit dem ANC. Dabei greift Gordimer vor allem den derzeitigen südafrikanischen Präsidenten Jacob Zuma an. Dass dieser Autokrat das Land mit einem Netz von Lügen über die wahren Verhältnisse überzieht, ist für die Autorin ausgemacht.

Doch Nadine Gordimer ist nicht nur Chronistin der politischen Widersprüche am Kap. Schwarz-Weiß-Malerei ist ihre Sache nie gewesen. Erzählfiguren wie Steve und Jabulile stehen für die auch private Ambivalenz von Schuld und guter Absicht, etwa wenn Steve Jabulile mit einer anderen betrügt. Am Ende des Buchs spielen die beiden Romanhelden mit dem Gedanken, nach Australien auszuwandern. Die Revolution entlässt ihre Kinder – und die machen sich enttäuscht davon.

Nadine Gordimer: »Keine Zeit wie diese«. Übersetzt von Barbara Schaden. Berlin Verlag, Berlin 2012, 507 S., 22,99 €

München

Fritz-Neuland-Gedächtnispreis gegen Antisemitismus erstmals verliehen

Als Anwalt stand Fritz Neuland in der NS-Zeit anderen Juden bei. In München wird ein nach ihm benannter Preis erstmals verliehen: an Polizisten und Juristen, die sich gegen Antisemitismus einsetzen

von Barbara Just  30.06.2025

Forschung

Digitales Archiv zu jüdischen Autoren in der NS-Zeit

Das Portal umfasst den Angaben zufolge derzeit rund eine Million gespeicherte Informationen

 30.06.2025

Medien

»Ostküsten-Geldadel«: Kontroverse um Holger Friedrich

Der Verleger der »Berliner Zeitung« irritiert mit seiner Wortwahl in Bezug auf den jüdischen Weltbühne-Gründer-Enkel Nicholas Jacobsohn. Kritiker sehen darin einen antisemitischen Code

von Ralf Balke  30.06.2025

Berlin

Mehr Bundesmittel für Jüdisches Museum

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer betonte, sichtbares jüdisches Leben gehöre zur Mitte der Gesellschaft

 30.06.2025

Großbritannien

Nach Anti-Israel-Eklat bei Glastonbury: BBC gibt Fehler zu

Ein Musiker wünscht während einer BBC-Übertragung dem israelischen Militär von der Festival-Bühne aus den Tod. Die Sendung läuft weiter. Erst auf wachsenden Druck hin entschuldigt sich die BBC

 30.06.2025

Glastonbury-Festival

Anti-Israel-Parolen: Britischer Premier fordert Erklärung

Ein Musiker beim Glastonbury-Festival in England fordert die Menge dazu auf, Israels Militär den Tod zu wünschen. Der Vorfall zieht weite Kreise

 30.06.2025

Essay

Die nützlichen Idioten der Hamas

Maxim Biller und der Eklat um seinen gelöschten Text bei der »ZEIT«: Ein Gast-Kommentar von »WELT«-Herausgeber Ulf Poschardt

 29.06.2025

Glastonbury

Polizei prüft Videos der Festival-Auftritte auf strafrechtliche Relevanz

Festival-Organisatoren: Parolen von Bob Vylan hätten eine Grenze überschritten

 29.06.2025

Literatur

Österreicherin Natascha Gangl gewinnt Bachmann-Preis 2025

Ihr poetischer Text »DA STA« begibt sich auf die Suche nach den versteckten Spuren eines NS-Verbrechens

 29.06.2025