Kulturkolumne

Verhandeln auf Tinder

Foto: Getty images / iStockphoto

Zu Recherche-Zwecken – und weil es gerade in meinen Lebensabschnitt passt – habe ich mich nach langer Zeit wieder auf einer Dating-Plattform angemeldet. Das Experiment begann Anfang des Jahres, als mich ein israelischer Bekannter fragte, ob ich in Deutschland online date. »Natürlich nicht« – meine abrupte Antwort kam auch aus Selbstschutz. Nach dem Gespräch stellte ich mir aber die Frage: Wie stark hat sich in den vergangenen Jahren unser Lebensraum eingeschränkt, wenn etwas so Alltägliches wie ein Profil auf einer Dating-App ein potenzielles Sicherheitsrisiko darstellt?

Also mache ich den Versuch. Einiges hat sich in den letzten Jahren gewandelt: Diskriminierungssensibel zu sein, auch wenn es nur um Unverbindliches geht, das hat sich im Selbstverständnis vieler etabliert und gehört zum guten Ton. Direkte Kommunikation, aber einvernehmlich, Freizü­gigkeit, aber mit klaren Grenzen, Dinge werden nicht vorausgesetzt, sondern erfragt – all das lässt sich aus feministischer oder progressiver Perspektive als Fortschritt bezeichnen. Diese Fortschritte sind begrüßenswert, solange sie inkludieren, anstatt Betroffene auszuschließen oder gar zu gefährden. Was aber, wenn harmlos daherkommende Signale plötzlich Eindeutigkeiten voraussetzen, wo es keine gibt?

Jan aus Österreich beendet den Satz »Das ist für mich nicht verhandelbar« mit der Wassermelone, dem Emoji, das sich als Synonym für »Free Palestine« etabliert hat. Ich möchte Jan fragen (obwohl ich nicht an ihm interessiert bin): Was meinst du jetzt damit, dass die Wassermelone für dich nicht verhandelbar ist? Selbstverständlich können wir uns darauf einigen, dass die palästinensische Zivilbevölkerung Anspruch auf Versorgung, Sicherheit, Selbstbestimmung und Frieden haben muss.

Tatsächlich führe ich gern mit fremden Menschen nuancierte und auch schwierige Gespräche. Dafür müssen aber bestimmte Grundvoraussetzungen gegeben sein.

Können wir uns auch darauf einigen, dass die Massaker, Vergewaltigungen und Geiselnahmen der Hamas am 7. Oktober 2023 kein legitimes Mittel des politischen Widerstands sind? Dass »Yalla Intifada« keine Friedensbotschaft ist? Dass Zionist kein Synonym für Nazi ist? Das ist nämlich für mich nicht verhandelbar.

Tatsächlich führe ich gern mit fremden Menschen nuancierte und auch schwierige Gespräche. Dafür müssen aber bestimmte Grundvoraussetzungen gegeben sein. Gerade deshalb sind verkürzte Positionen an Stellen, an denen es eigentlich ums Zuhören, miteinander Sprechen oder Verstehen geht, alles andere als progressive Praxis. Selbstverständlich ergibt es Sinn, dass Menschen, die von Diskriminierungen betroffen sind, ausschließen möchten, in Situationen zu geraten, in denen sie sich nicht sicher fühlen, insbesondere dann, wenn es darum geht, einen privaten oder intimen Raum miteinander zu teilen. Ich würde mir nur wünschen, dass ebendiese Regeln auch für jüdische Personen gelten. Auch Online-Plattformen sind soziale Räume – und viele davon sind für uns in den letzten zwei Jahren erheblich kleiner geworden.

Und so stellt sich auch hier die Frage, ob ein Date nicht zu einem Sicherheitsrisiko werden kann. Ein Emoji im Profil ist oft nur Selbstaufwertung und die Wassermelone per se kein antisemitisches Symbol. Aber der beiläufige Antisemitismus, der bei diesem »Signaling« mitschwingen kann, hat das gesellschaftliche Klima in den letzten Jahren grundlegend verändert.

Den Nahost-Konflikt wird Jan mit seinem Emoji nicht lösen. Ich wünsche ihm ein langweiliges Date, bei dem er nichts verhandeln muss. Diesen Luxus haben Jüdinnen und Juden längst nicht mehr. Denn ob wir wollen oder nicht: Jeder private Raum ist für uns mittlerweile auch ein politischer.

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