United by Music, vereint durch Musik - das Motto des Eurovision Song Contest (ESC) wirkt aktuell etwas zynisch. Statt Einigkeit zeigen sich die Teilnehmerländer gespalten bei der Frage: Wie umgehen mit der Teilnahme Israels im nächsten Jahr? Die Rundfunkanstalten in der Schweiz und im Gastgeberland Österreich sprechen sich für einen israelischen Auftritt aus, jene in Irland, Island, Slowenien und den Niederlanden drohen mit einem Boykott der Ausgabe im Mai 2026 in Wien. Mit Spanien spricht diese Drohung zudem ein Land aus, das zu den größten Geldgebern der Europäischen Rundfunkunion (EBU) zählt, die den ESC ausrichtet. Als Grund führt Spanien die umstrittene Kriegsführung Israels im Gazastreifen an.
Wie sich die ARD in Deutschland zu einem möglichen Ausschluss Israels positioniert, wollte sie auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) nicht sagen. Die öffentlich-rechtliche Anstalt ist als EBU-Mitglied für die Übertragung in Deutschland verantwortlich, federführend organisiert vom SWR. Dieser sagt nur: »Die ARD unterstützt als Mitglied der Europäischen Rundfunkunion den eingeleiteten Konsultationsprozess und die Entscheidungen der EBU.«
Druck auf ARD nimmt zu
Fest steht aber: Der Druck auf die ARD steigt. Der Verband Jüdischer Journalistinnen und Journalisten richtete unlängst einen öffentlichen Appell an den ARD-Vorsitzenden Florian Hager. Darin ruft der Verband die Intendanten der ARD dazu auf, »den Ausschluss Israels aus dem ESC in der EBU zu verhindern«. Eine Austragung ohne Israel würde »keine Kritik an der israelischen Kriegsführung« darstellen, sondern die »gesamte Bevölkerung undifferenziert« treffen.
Für den Fall, dass Israel tatsächlich nicht am kommenden ESC teilnehmen dürfte, stellte zuletzt Steffen Bilger, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, einen Boykott seitens Deutschland in den Raum: »Ich finde, wenn Israel ausgeschlossen wird, dann können wir da nicht mehr dabei sein, ganz klar«, sagte er dem Sender ntv.
Eine andere Position hat Nemo aus der Schweiz, beim ESC 2024 auf dem ersten Platz: »Ich bin der Meinung, dass es Israel aufgrund des Gaza-Krieges nicht möglich sein sollte, in der jetzigen Situation beim ESC mitzumachen. Genauso wie es für Russland nicht möglich ist.« Der Song Contest sei der richtige Ort für solche Auseinandersetzungen, sagte Nemo dem »Stern«.
Israel hält an Teilnahme fest
Unabhängig von den Boykott-Drohungen hält Israel selbst an der Teilnahme fest. »Es gibt keinen Grund, warum Israel nicht weiterhin ein wichtiger Teil dieses kulturellen Ereignisses sein sollte, das unter keinen Umständen politisch werden darf«, sagte Golan Jochpaz, Direktor des israelischen Fernsehsenders Kan.
Wirklich unpolitisch war der ESC trotz der selbstauferlegten Neutralität aber eigentlich nie. Schon 1969 blieb Österreich dem Grand Prix aus Protest gegen die Franco-Diktatur in Spanien fern, 1976 thematisierte der Beitrag Griechenlands die türkische Besetzung Zyperns. 2022 wurde Russland aufgrund des Überfalls auf die Ukraine vom Wettbewerb ausgeschlossen - darüber waren sich alle Teilnehmerländer (ausnahmsweise) einig.
Entscheidung erst im November
Eine Entscheidung in der Causa Israel wird sich allerdings ziehen - im November will die EBU eine virtuelle Sondersitzung der Mitglieder einberufen. Dabei soll über die Teilnahme abgestimmt werden.
Auf die Abstimmung im November darf man gespannt sein - auch, weil für den ESC selbst viel auf dem Spiel steht. Die Verantwortlichen stecken in einer Zwickmühle: Einerseits kommt der ESC-Hauptsponsor, die Kosmetikfirma Moroccanoil, aus Israel. Andererseits könnte ein Boykott mehrerer Länder eines der beiden Halbfinals des ESC überflüssig werden lassen. Schon in diesem Jahr im schweizerischen Basel waren es insgesamt nur 37 Teilnehmerländer.
ESC-Direktor Martin Green äußerte sich vermutlich auch daher zuletzt diplomatisch: »Wir verstehen die Bedenken und tief verwurzelten Ansichten zum anhaltenden Konflikt im Nahen Osten«, sagte er dänischen Medien. »Wir beraten uns weiterhin mit allen EBU-Mitgliedern, um Meinungen dazu einzuholen, wie wir mit der Teilnahme und den geopolitischen Spannungen rund um den Eurovision Song Contest umgehen sollen.«
Vier Mal ESC-Sieger
In der Geschichte des ESC spielt Israel eine große Rolle. Viermal konnte das Land den Wettbewerb gewinnen, unter anderem 1998 mit Transgender-Künstlerin Dana International. Seit ihrem Auftritt ist die queere Fangemeinde des ESC enorm gewachsen. Kommendes Jahr in Wien könnte ein weiteres Kapitel israelischer ESC-Historie geschrieben werden - auf die eine oder auf die andere Art.