Premiere

»Übergriffe gegen uns sind mittlerweile Alltag«

Seit 1997 dokumentiert Levi Salomon mit der Kamera Demonstrationen in Berlin und bundesweit Foto: picture alliance / HANS PUNZ / APA / picturedesk.com

Seit 1997 dokumentiert Levi Salomon mit der Kamera Demonstrationen in Berlin und bundesweit. Immer wieder geriet er dabei als Pressevertreter in den Fokus von Neonazis, militanten Linken oder während der Corona-Pandemie von Querdenkern und Schwurblern. Beschimpfungen und Beleidigungen gehörten praktisch dazu. »Aber diese Steigerung seit dem 7. Oktober 2023 habe ich noch nie erlebt«, sagt Salomon mehr als zwei Jahre nach dem Hamas-Überfall auf Israel.

Salomon ist Geschäftsführer und Koordinator des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA). Der 2008 gegründete Berliner Verein betreibt nach eigenen Angaben politische Bildungsarbeit zu den Themen Antisemitismus, Rassismus, Demokratiefeindlichkeit und Verschwörungsideologien. Dazu gehören auch regelmäßig Recherchen und Feldbeobachtungen bei Demonstrationen der extremistischen Ränder.

Seit dem Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 gab es in Berlin Hunderte von Pro-Palästina-Demonstrationen, mit spürbaren Folgen für die Arbeit der Demonstrationsbeobachter und Pressevertreter vor Ort. »Anfeindungen, Behinderungen, Desinformationen und teils sogar körperliche Übergriffe gegen uns sind mittlerweile Alltag«, sagt Salomon zur ersten Vorführung des Films am Montagabend in Berlin. Viele Medienleute erlebten die Bedrohungen nicht nur am Einsatzort, sondern auch darüber hinaus bis in die Freizeit und ins Private hinein.

Fil zeigt, welche Aggressionen und welcher Hass Medienschaffenden auf Nahost-Demonstrationen entgegenschlägt

Aus Hunderten Stunden Filmmaterial von den Nahost-Demonstrationen hat das JFDA einen 90-Minuten-Film mit dem Titel »Im Fokus - Pressefeindlichkeit bei israelfeindlicher Demonstrationen« zusammengeschnitten. Dieser zeigt völlig unkommentiert, welche Aggressionen und welcher Hass den Medienschaffenden auf diesen Nahost-Demonstrationen entgegenschlägt, wie sie bedrängt und wie Kameras zugehalten und wie unverhohlen auch im Beisein der Polizei Beleidigungen und Drohungen gegen Medienvertreter ausgesprochen werden.

Dazu gibt es Interviews mit Betroffenen, darunter Berichterstatter von »Tagesspiegel«, »Bild« und »Berliner Zeitung«. So berichtet etwa der »Bild«-Reporter Iman Sefati, dass Pro-Palästina-Aktivisten plötzlich vor seinem Wohnhaus auftauchten und Fotos machten. Andere Kolleginnen und Kollegen wurden auf reichweitenstarken Kanälen in den sozialen Netzwerken als »Feinde« und »Zionisten« markiert.

Jörg Reichel von der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) warnt in dem Film davor, die Folgen dieser systematischen Einschränkung der Pressefreiheit in Deutschland zu unterschätzen. Anders als während der Corona-Pandemie, wo Angriffe auf die Presse bei Corona-Demos in der Öffentlichkeit immer wieder präsent waren, sei dies derzeit außer am »Internationalen Tag der Pressefreiheit« jährlich am 3. Mai kaum noch ein Thema hierzulande.

Laut RSF-Statistik gab es im vergangenen Jahr 89 Attacken auf Medienschaffende und Medienhäuser

Das sei eine bedenkliche Entwicklung, sagt Reichel, der seit 2020 mit einem Team Angriffe auf Medienschaffende in Deutschland erfasst und der Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen (RSF) zuarbeitet. Laut RSF-Statistik gab es im vergangenen Jahr 89 Attacken auf Medienschaffende und Medienhäuser. Insgesamt 75 der 89 Angriffe umfassten körperliche Gewalttaten. Allein 49 der bundesweit dokumentierten Fälle ereigneten sich Berlin. Die meisten Übergriffe mit 29 wurden am Rande von Nahost-Demonstrationen gezählt.

Laut Reichel gibt es aber auch positive Entwicklungen. So sei die Berliner Polizei nach Gesprächen mit Journalismusgewerkschaften und -organisationen mittlerweile extrem sensibilisiert bei der Durchsetzung von Pressefreiheit auf Demonstrationen. Das sei bis in die Einsatzhundertschaften hinein angekommen, dass die Arbeit von Medienschaffenden ermöglicht werden muss, sagte Reichel. Das zeige sich immer wieder im Handeln der Berliner Polizistinnen und Polizisten.

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