Roman

Über großen Wassern

Wurde in Jerusalem geboren und war mit dem orthodoxen Rabbiner Benjamin Elon verheiratet: die israelische Autorin Emuna Elon (66) Foto: Flash 90

Die Geschichte von Das Haus auf dem Wasser erfasste Emuna Elon unerwartet. Ein Roman über niederländische Schoa-Überlebende schien auf den ersten Blick nicht viel mit ihr zu tun zu haben.

Emuna Elon – ihr hebräischer Vorname bedeutet »Glaube« – wuchs als Tochter des chassidischen Rabbiners und Literaten Pinchas Hacohen Peli in Jerusalem und New York auf. Mit ihrem 2017 verstorbenen Mann Benjamin Elon, ebenfalls orthodoxer Rabbiner und Knesset­abgeordneter der Rechtsaußen-Parteien »Nationale Union« und »Moledet«, hat sie sechs Kinder. Sie wohnte viele Jahre in der Siedlung Bet El im Westjordanland, bevor sie wieder nach Jerusalem zog.

Elons Familie lebt seit vier Generationen in Jerusalem, ihre Vorfahren kamen schon Anfang des 20. Jahrhunderts aus Transsylvanien und Polen in die heutige Hauptstadt Israels.

KURZURLAUB Und doch: Als die heute 66-jährige Schriftstellerin während eines Kurzurlaubs mit ihrem Mann in Amsterdam das dortige Jüdische Museum besuchte, ließen sie die Geschichten der Juden in den Niederlanden während der deutschen Besatzung nicht los. »Die Holländer bezeichnen diese Zeit nur als ›Der Krieg‹, immerhin gab es im Land sonst keinen weiteren bemerkenswerten Krieg, das Narrativ ist, dass alle unter der Besetzung der Nazis gelitten haben. Der Holocaust nimmt keinen sehr prominenten Platz ein. Was mich aber so fasziniert hat, ist, wie ordentlich und höflich die Schoa in Holland vonstattenging«, rekapituliert Emuna Elon.

»Die holländischen Juden dachten bis zum Schluss, wenn sie sich an alle Vorgaben halten, wird ihnen nichts passieren. Selbst dann, als sie ihre geliebten Fahrräder abgeben mussten, die immerhin das wichtigste Transportmittel für Amsterdamer Bürger waren. Man sieht in historischem Bildmaterial, wie die holländischen Juden in den Konzentrationslagern aus den Güterzügen stiegen: in Pelzmänteln und Absatzschuhen. Obwohl sie schon wussten, was den Juden im Osten Europas und in Deutschland angetan wurde, hielten sie es in ihrem eigenen Land für unmöglich.«

Bei aller Faszination für dieses Thema kämpfte Elon doch lange mit sich, ob sie diese Geschichte auch aufschreiben durfte, hatte sie doch so wenig mit ihrer eigenen Biografie zu tun. Noch dazu erzählt das Buch durch die Augen eines männlichen Protagonisten, des Schriftstellers Joel Bloom.

Der Held Joel Blum ist laut Autorin ein »automatisierter Gläubiger«.


Nichtsdestotrotz fand sie am Ende die verbindenden Elemente und entschied sich für diesen besonderen Roman und seine Geschichte: »Joel ist der Protagonist, aber eigentlich handelt das Buch von seiner Mutter Sonia. Von Mutterschaft und der Frage nach den verschiedenen Elementen, die die eigene Identität ausmachen: einerseits die Frage danach, woher man kommt. Vor allem im Zusammenhang mit der frühkindlichen Prägung. Und dann aber auch die Betrachtung der eigenen Geschichte als Teil einer nationalen Geschichte, als Teil der Geschichte des eigenen Volkes.«

Zwar gab es in Elons Familie keine Schoa-Überlebenden, aber sie ist trotzdem in den 50er-, 60er-Jahren unter Überlebenden und ihren Kindern aufgewachsen. Deren Trauma fand sie schlussendlich sogar in ihren eigenen Träumen wieder. Das Gefühl der Hilflosigkeit, des Wunderns, warum man selbst überlebt hat, die vielen anderen aber nicht, hat sie verinnerlicht.

KOLLABORATION Der Aspekt von Schuld und Verheimlichungen fasziniert sie dabei besonders und findet sich auch in Das Haus auf dem Wasser wieder. Nicht nur lebt ihr Protagonist Joel mit einem großen Familiengeheimnis, das er nur Stück für Stück aufdeckt. Teil dieses Geheimnisses ist es, ohne an dieser Stelle zu viel über das Buch zu verraten, Fragen nach jüdischen Kollaborateuren mit den Nazis zu stellen.

»Viele Überlebende machen die Kollaborateure, meist Mitglieder des Judenrats, für den Tod ihrer Angehörigen verantwortlich«, sagt Elon. Im Buch trifft Sonia, Joels Mutter, eine radikale Entscheidung, was den Umgang mit einem dieser Kollaborateure angeht.

Bei ihrer Recherche in Amsterdam – Emuna Elon lebte einen Monat lang in dem kleinen Hotelzimmer, in dem auch ihr Protagonist Joel im Buch wohnt – hatte die Schriftstellerin oftmals das Gefühl, das Wasser der vielen Kanäle in der Stadt erzähle ihr geradezu die Geschichten aus der Vergangenheit.

So kam sie auf den Titel, der zumindest im Hebräischen (Bajit al majim rabim) auch eine Anspielung auf einen Teil des Schabbatgebets ist (»Adonai al majim rabim«, Psalm 29) und auf die Unendlichkeit hinweist, die Elon sowohl im Verlauf der Zeit als auch im Wasser immer wiedergefunden hat. Nach der religiösen Identität ihres Protagonisten befragt, der immerhin auf den ersten Seiten erwähnt, dass er koscher isst und eine Kippa trägt, bezeichnet sie ihn als »automatisierten« Gläubigen und deutet an, dass sich am Ende des Buches nicht nur sein Verhältnis zu sich selbst und zu seiner Familie komplett ändert, sondern auch zu seinem Glauben.

Der hebräische Titel spielt auf Psalm 29 an, der am Schabbat gesagt wird.

Joel Bloom ist ein Suchender, und seine Geschichte funktioniert nicht nur als Geschichte der Vergangenheit, als Geschichte von vorhergehenden Generationen, sondern auch als Inspiration für die Zukunft. Denn wer man wirklich ist, kann man nur erkennen, wenn man weiß, wo man herkommt.

Bis heute spricht man in Holland nicht davon, dass die Juden ermordet wurden, sondern man sage, so erzählt Emuna Elon, sie seien »nicht zurückgekommen«. In ihrem Roman hat sie ihnen ein Denkmal gesetzt und stellt doch gleichzeitig Fragen über Identität, Familie und kollektives Trauma, die universell sind und die gerade in Zeiten der Diskussion darum, wer Anne Frank verraten hat, nicht aktueller sein könnten.

Emuna Elon: »Das Haus auf dem Wasser«. Aus dem Hebräischen von Barbara Linner. Aufbau, Berlin 2021, 360 S., 24 €

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