Stella Goldschlag

»Tragisches Opfer des Gestapo-Terrors«

Der Berliner Rechtsanwalt Karl Alich Foto: Rolf Walter

Stella Goldschlag

»Tragisches Opfer des Gestapo-Terrors«

Ein neues Buch von Karl Alich rekonstruiert den Prozess gegen die jüdische Kollaborateurin

von Hannelore Brenner-Wonschick  18.02.2023 18:50 Uhr

Herr Alich, dass Sie als Rechtsanwalt ein Buch zu Stella Goldschlag vorlegen, kommt überraschend. Warum ein Buch?
Ich musste das Buch schreiben. Stella hatte Jüdinnen und Juden in Berlin, die untertauchten, um ihr Leben zu retten, an die Gestapo verraten. Aus dieser verkürzten Darstellung lässt sich die böswillige Botschaft »Juden verraten Juden« ableiten. Diese Botschaft ist nicht nur falsch, sondern auch gefährlich. Stella wurde 1946 von einem sowjetischen Militärtribunal verurteilt und hatte eine zehnjährige Zuchthausstrafe in der SBZ/DDR verbüßt. Eine nochmalige Verurteilung durch die westdeutsche Justiz – Stella kam nach ihrer Entlassung nach West-Berlin – war weder geboten noch notwendig. Sie wurde 1957 wieder angeklagt und 1972 erneut zu zehn Jahren verurteilt. Die bereits verbüßte Strafe wurde jedoch angerechnet, sodass Stella nach der Verurteilung 1972 freikam.

Kannten Sie den Autor Ferdinand Kroh und dessen Interesse an dem Fall Stella?
Ich kannte Kroh bereits lange, bevor ich das Buch geschrieben habe. Er machte 1990 das einzige TV-Interview mit Stella. Für ihn taten sich bei den Gesprächen mit ihr Abgründe menschlichen Versagens auf. Er konnte sich jedoch nicht mit dem tragischen Leben und dem Suizid abfinden. Er wollte nicht, dass Stella als »blondes Gespenst vom Kurfürstendamm« in Erinnerung bleibt, sondern als tragisches Opfer des Gestapo-Terrors. Stella hatte Kroh 1990 sämtliche publizistischen Persönlichkeitsrechte an ihrer Lebensgeschichte abgetreten. Er hat offensichtlich ihr Vertrauen gewonnen und in ihr die Hoffnung geweckt, in ein normales Leben zurückfinden zu können. Ferdinand Kroh ist leider 2014 verstorben. Seine Witwe hat mich als Anwalt beauftragt, sie bei der Wahrung von Goldschlags Persönlichkeitsrechten zu unterstützen. Mein Buch ist auch eine Schutzschrift gegen die mediale Ausbeutung des Lebens der Stella Goldschlag.

Als Reaktion auf Takis Würgers Roman?
Ja.

Viele Leser, die Peter Wydens gleichnamiges Buch »Stella« kennen, fragen sich vermutlich wie ich: Was lässt sich über Stella mehr schreiben, als es der amerikanische Autor bereits 1992 getan hat?
Peter Wyden schrieb eine Biografie über Stella und stützte sich dabei auf Tatsachen. Besser kann man das wahre Leben der Stella nicht schildern. Er hat jedoch keine durch Fakten belegte Erklärung für das Verhalten der Stella gefunden. Auch ich sehe keine durch Fakten belegte Erklärung der Verbrechen der Stella. Meines Erachtens reicht es jedoch nicht zu sagen: »Über ihre Motive blieben viele Fragen offen.« Diese Sichtweise öffnet Tür und Tor für Interpretationen von der falschen Fraktion. Die »offenen Fragen« über die Ursachen ihrer Verbrechen müssen beantwortet werden. Die NS-Täter müssen benannt werden, damit falsche Botschaften ein für alle Mal zum Schweigen gebracht werden. Meine fiktive Geschichte weist auf die, zwar nicht durch Tatsachen belegte, gleichwohl einzig denkbare Ursache des Verrats hin – auf ihren bizarren Charakter und die unmenschliche Folter durch die Gestapo.

Sie haben die Nachkriegsjustiz im Umgang mit NS-Tätern in den Blick genommen und aufgezeigt, dass mit zweierlei Maß geurteilt wurde und viele NS-Täter wieder Karriere machen konnten.
Im Jahre 1971 wurden NS-Täter vom Vorwurf der Beihilfe zum Mord freigesprochen. Im Jahre 1972 wurde Stella Goldschlag wegen Beihilfe zum Mord zu zehn Jahren verurteilt, obwohl sie bereits eine Strafe von zehn Jahren verbüßt hatte. Die Geschichte der Strafverfolgung von NS-Tätern in der Bundesrepublik ist die Geschichte eines krachenden Scheiterns.

Mit dem Anwalt sprach die Autorin Hannelore Brenner-Wonschick. Sie hatte für das Buch »Stella« von Peter Wyden recherchiert.

Karl Alich: »Freispruch für Stella Goldschlag«. Mit einem Nachwort von Micha Brumlik. novum, Berlin 2022, 228 S., 24,90 €

Fernsehen

Mord auf dem Inka-Pfad

Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte: 1997 stirbt eine Forscherin bei einem Urlaub in Peru. Ist ihr israelischer Mann der Mörder gewesen? Die ARD packt das Geschehen in einen sehenswerten True-Crime-Vierteiler

von Ute Wessels  29.04.2025

Köln

»Charlie Hebdo«-Überlebender stellt Comic zu NS-Raubkunst vor

»Zwei Halbakte« heißt ein 1919 entstandenes Gemälde von Otto Mueller. Die Geschichte des Kunstwerks hat der französische Zeichner Luz als Graphic Novel aufgearbeitet. Mit teils sehr persönlichen Zugängen

von Joachim Heinz  28.04.2025

Berlin

»Eine Zierde der Stadt«- Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum eröffnet

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum im denkmalgeschützten Gebäude der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte eingeweiht

 28.04.2025

Paris

»Bambi«-Neuverfilmung: Nah an Felix Saltens Original

Ganz ohne Spezialeffekte und Animation: In Michel Fesslers »Bambi«-Neuauflage stehen echte Tiere vor der Kamera. Das Buch wurde einst von den Nazis verboten

von Sabine Glaubitz  28.04.2025

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  25.04.2025

100 Jahre "Der Prozess"

Was Kafkas »Der Prozess« mit KI und Behörden-Wirrwarr gemeinsam hat

Seine Liebesworte gehen auf TikTok viral. Unheimlich-groteske Szenen beschrieb er wie kein Zweiter. In Zeiten von KI und überbordender Bürokratie wirkt Franz Kafkas Werk aktueller denn je - eben kafkaesk

von Paula Konersmann  25.04.2025

Reykjavik

Island fordert Ausschluss Israels vom ESC

Das Land schließt sich damit der Forderung Sloweniens und Spaniens an. Ein tatsächlicher Ausschluss Israels gilt jedoch als unwahrscheinlich

 25.04.2025

Popkultur

Israelfeindliche Band Kneecap von zwei Festivals ausgeladen

Bei Auftritten verbreiten die irischen Rapper Parolen wie »Fuck Israel«. Nun zogen die Festivals Hurricane und Southside Konsequenzen

von Imanuel Marcus  25.04.2025

Berlin/Brandenburg

Filmreihe zu Antisemitismus beim Jüdischen Filmfestival

Das Festival läuft vom 6. bis 11. Mai

 25.04.2025