Paris, 1940: Während im Hintergrund die Deportation der Juden läuft, zusehends mit deutscher Präzision, leben die Marionetten der Besatzer in Saus und Braus. Und so trifft sich der französische Kulturadel - darunter Schriftsteller Jean Cocteau und Modeschöpferin Coco Chanel - in der deutschen Botschaft zu Paris entspannt mit der NS-Kulturelite. Hier fehlte Hitlers Lieblingskünstler Arno Breker ebenso wenig wie Ufa-Regisseur Heinrich George und Dirigent Herbert von Karajan.
Und die französische Star-Schauspielerin Arletty - bekannt als »Garance« in Marcel Carnés »Kinder des Olymp« - provoziert ihre Landsleute gar mit der Anmerkung: »Es gibt so viele Frauen, die einen deutschen Liebhaber haben. Wir sollten eine Gewerkschaft gründen«. Mit ihrer Dokumentation blicken der Historiker Jean-Marc Dreyfus und der Journalist Pierre-Olivier Francois in die Abgründe der deutsch-französischen Beziehungen.
Der vom SWR verantwortete Film erzählt die Freundschaft zweier Männer rechts und links des Rheins, die sich gesucht und gefunden haben. Der eine ist Otto Abetz aus Karlsruhe, ein frankophiler Lehrer, der im Schwarzwald Treffen zwischen Deutschen und Franzosen organisiert, bei denen Gräben des Ersten Weltkriegs überwunden werden sollen. Keine schlechte Idee, sollte man meinen. Doch schon 1932 schließt Abetz sich den Nationalsozialisten an. Im Auftrag von Hitlers späterem Außenminister von Ribbentrop soll er ab 1934 in Frankreich »verschiedene Gesellschaftsgruppen für die Ziele der Nazis gewinnen«.
Exklusiv-Interview mit Adolf Hitler
Gelingen sollte ihm dies dank der tatkräftigen Mithilfe von Fernand de Brinon. Der mittellose Aristokrat und Journalist führte schon im September 1933 ein Exklusiv-Interview mit Adolf Hitler für »Le Matin«. Vollmundig behauptete der Reichskanzler darin, er würde niemals das tun, was er 1940 doch tat: Frankreich in einem Blitzkrieg unterwerfen. 1940 wurde Abetz dann Bevollmächtigter des Auswärtigen Amtes - und damit quasi Deutschlands Botschafter beim Kollaborations-Regime von Vichy, das formal bis Sommer 1944 den unbesetzten Teil Frankreichs kontrollierte.
Die Zusammenarbeit zwischen Brinon und Abetz bildet das Gerüst dieses historischen Rückblicks. Von dieser Männerfreundschaft ausgehend, richtet der Film zahlreiche Streiflichter auf französische Nutznießer der Besatzung. Allen voran Pierre Laval, der als einer der wichtigsten Entscheidungsträger des von den Nazis geduldeten Vichy-Regimes dafür sorgte, dass Hitlers Interessen durchgesetzt wurden.
Tagebucheintragungen seiner Tochter Josée de Chambrun, die den Film wie ein roter Faden durchziehen, führen vor Augen, mit welch diskretem Charme die kollaborierende Bourgeoisie ihre Zeit verbrachte: Besuche in Theater und Oper, Ausflüge, Abendgesellschaften, Einkäufe in den Luxus-Modeabteilungen der Warenhäuser und Pferdewetten auf der Rennbahn: »Ich habe viel gewonnen«, notiert de Chambrun begeistert in ihr Tagebuch. Könnte, so liest man zwischen den Zeilen, diese wunderbare Zeit nicht ewig dauern?
Verblendete Kollaborateure
Schwer nachvollziehbar ist aus heutiger Sicht, wie verblendet viele französische Kollaborateure waren. Allen voran Fernand de Brinon, dessen Ehefrau nur mit knapper Not der Deportation entging und schließlich auch den gelben Judenstern tragen musste. Dennoch glaubte Brinon, der ab 1940 die Vichy-Regierung beim deutschen Oberbefehlshaber im besetzten Paris repräsentierte, bis zuletzt fest an den Endsieg: »Es ist offensichtlich, dass allein das wunderbare Deutschland die Zivilisation verteidigt«, erklärte er 1945 im Hohenzollernschloss Sigmaringen, wo die Exilregierung des Vichy-Regimes zuletzt auf Geheiß der Nazis festgesetzt das Kriegsende in weiter nobler Kulisse abwartete.
Nach dem Krieg setzte sich Abetz von Sigmaringen über Baden-Baden in den Schwarzwald ab, wo er 1945 verhaftet wurde. 1949 verurteilte ihn ein Pariser Militärtribunal zu 20 Jahren Haft. Abetz kam aber schon 1954 wieder frei und arbeitete bis zu seinem Tod vier Jahre später als Journalist im Ruhrgebiet. Fernand de Brinon, der nach dem Rücktritt von Vichy-Staatschef Philippe Pétain ab September 1944 noch kurzzeitig Präsident der Vichy-Regierung war, wurde 1947 als Kollaborateur und wegen »nationaler Würdelosigkeit« vom Obersten Französischen Gerichtshof schuldig gesprochen und hingerichtet.
Seltene und teils unbekannte Archivmaterialien blicken zurück auf ein düsteres Kapitel der deutsch-französischen Beziehungen. »Terror und Champagner« - selten ist ein Titel so treffend. Akribisch rekonstruiert der Film das dicht geflochtene Netz der Beziehungen zwischen braunen Funktionären und französischen Kultureliten. Diese lebendige Mischung aus nuancierter Recherche und Klatsch über Kollaborateure sowie Tratsch über Nazis vermittelt so auch die Stimmung im besetzten Nachbarland. Und die altbekannte Redewendung »Wie Gott in Frankreich« verkehrt sich dabei eindrucksvoll in ihr Gegenteil.
»Terror und Champagner – Hitlers Stellvertreter in Paris«, Arte, Di., 10.6.25, 21.50 - 22.40 Uhr und in der Arte-Mediathek