Patrick Modiano

Tanz durch die Erinnerung

Patrick Modiano

Tanz durch die Erinnerung

Patrick Modianos Hommage an eine namenlose Tänzerin widmet sich den kleinen Dramen des Alltags, die es zu meistern gilt

von Ellen Presser  28.03.2025 10:48 Uhr

2014 erhielt Patrick Modiano den Literaturnobelpreis. Da war er 69 Jahre alt. In seiner ruhigen, stillen Art veröffentlichte er etwa alle zwei Jahre ein weiteres Buch, in dem er sich der »Kunst der Erinnerung« widmete. Das war auch der Titel seiner Rede, als er die höchste Auszeichnung, die ein Literat erhalten kann, in Stockholm entgegennahm. Seine Werke waren nie Wälzer, sondern im besten Sinne des Wortes Kondensate seiner Wahrnehmung der Pariser Topografie und ihrer Bewohner, der um ihren Alltag Ringenden, der Gescheiterten, der Verräter und Verschleppten, der Auftauchenden und Verschwindenden.

Sein jüngstes Werk von 2023, La Danseuse, gehört zu seinen schmalsten und verdient eher die Bezeichnung Erzählung als Roman. Es ist jedoch besonders typisch für Modianos Schreibweise und greift Motive und Stilmittel auf, die ihn seit seinem literarischen Debüt 1968, La Place de lʼÉtoile, begleiten. Er schreibt sehr oft in der Ich-Form, sodass man nie genau weiß, wo er selbst Erfahrenes, Aufgefundenes oder Erfundenes zu einem zarten Gewebe verknüpft, das immer wieder reißt, weil das Erinnerte, ob wahr oder eher wahrhaftig, sich verflüchtigt.

Man findet viele bedenkenswerte Sätze in diesem Buch, das so leise und unspektakulär endet, wie es beginnt.

Die Hauptfigur, eine namenlose Tänzerin, beschäftigt Modiano nicht zum ersten Mal. Sie hat in seinem Kinderbuch Catherine, die kleine Tänzerin, 1991 auf Deutsch erschienen, eine Vorläuferin. Darin lebt ein kleines Mädchen bei seinem Vater in Paris, der zweifelhaften Geschäften nachgeht. Ein ähnliches Los widerfährt dem Sohn der Tänzerin, der Pierre heißt und dessen Erzeuger vor seiner Geburt aus Frankreich verschwinden musste.

Der Ich-Erzähler, ein noch recht erfolgloser Autor, bewegt sich in seiner Erinnerung an seine einstige Vertraute 50 Jahre zurück. Dabei prägt sich jeder »Augenblick der Vergangenheit ins Gedächtnis, wie der Lichtstrahl von einem Stern, den man längst erloschen glaubt«. Modianos Pro­ta­gonist denkt: »Manchmal findet man in den Träumen das Licht jener Zeit wieder, genau so, wie es war, in manchen, ganz bestimmten Augenblicken des Tages.«

Den Beginn ihres Tanzunterrichts hatte die namenlose Tänzerin als Augenblick ihrer »wahren Geburt« empfunden. Das harte Training bedeutet für sie »ein bisschen Ordnung bringen in mein Leben«. Ihr Begleiter, der Erzähler, glaubt, »dass auch die Literatur eine so schwierige Übung war wie der Tanz, nur in einer anderen Form«.

Man findet viele bedenkenswerte Sätze in diesem Buch, das so leise und unspektakulär endet, wie es beginnt. Es sind die kleinen Dramen des Alltags, die es zu meistern gilt.

Patrick Modiano: »Die Tänzerin«, Aus dem Französischen von Elisabeth Edl. Hanser, München 2025, 93 S., 20 €

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus, Katrin Richter  19.10.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Über Wurstmeldungen und andere existenzielle Fragen

von Katrin Richter  19.10.2025

Aufgegabelt

Maroni-Kuchen

Rezepte und Leckeres

von Nicole Dreyfus  19.10.2025

Sachbuch

Ärger am Skopusberg

Yfaat Weiss skizziert die wechselvolle Geschichte der israelischen Exklave in Ost-Jerusalem zwischen 1948 und 1967

von Ralf Balke  19.10.2025

Innovation

Rettung für den Kinneret

Zum ersten Mal weltweit wird entsalztes Wasser in einen Süßwassersee geleitet

von Sabine Brandes  19.10.2025

Sehen!

»Red Alert«

Die Serie will das Geschehen des 7. Oktober in filmische Bilder fassen – die erzählerische Kraft des Vierteilers liegt in der Hoffnung

von Christoph Schinke  19.10.2025

Israel

Warum ich meine gelbe Schleife nicht ablege

Noch immer konnten nicht alle Angehörigen von Geiseln Abschied von ihren Liebsten nehmen

von Sophie Albers Ben Chamo  17.10.2025

Berlin

Neue Nationalgalerie zeigt, wie Raubkunst erkannt wird

Von Salvador Dalí bis René Magritte: Die Neue Nationalgalerie zeigt 26 Werke von berühmten Surrealisten. Doch die Ausstellung hat einen weiteren Schwerpunkt

von Daniel Zander  17.10.2025

Theater

K. wie Kafka wie Kosky

Der Opernregisseur feiert den Schriftsteller auf Jiddisch – mit Musik und Gesang im Berliner Ensemble

von Christoph Schulte, Eva Lezzi  17.10.2025