»Belle Époque«

Soundtrack einer Ära

Daniel Hope Foto: imago images/Andre Lenthe

Sie war die Ruhe vor dem Sturm – und ein goldenes Zeitalter: Die »Belle Époque«, jene zur »schönen Zeit« verklärten Jahre an der Schwelle zum 20. Jahrhundert, bescherten Europa einen wirtschaftlichen Aufschwung und eine kulturelle Blüte.

Mythos Ob Henri de Toulouse-Lautrecs Gemälde aus dem Pariser Nachtleben, Marcel Prousts literarisches Mammutwerk »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit« oder die Wiener Secession – der Mythos lebt noch. Doch wie klang dieses Zeitalter? Der Geiger Daniel Hope hat sich auf die Suche begeben und den Soundtrack einer Ära zusammengestellt, in der sich Glanz und Elend miteinander verbinden.

Seit 2016 leitet Hope das Zürcher Kammerorchester und seit 2018 das New Century Chamber Orchestra in San Francisco.

»›Belle Époque‹ – das muss man in Gänsefüßchen setzten«, sagt Hope im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Ja, auf der einen Seite war es eine Zeit von Sinnlichkeit und Ausschweifung, wie sie etwa noch heute in den verzierten Eingängen zur Pariser Metro sichtbar ist. »Doch wir erleben auch diese enorme Kluft zwischen Arm und Reich.«

Symphonien Die Anfänge der Sozialdemokratie, der Beginn der Zweiten Industriellen Revolution, die großen Erfinder – es ist eine Zeit extremer Um- und Aufbrüche, auch in der Musik. Große künstlerische Werke, wie sie die Klassik mit den großen Symphonien hervorbrachte, oder nur Fragmente – dieser Zwiespalt bestimmt auch die Musik der »Belle Époque«.

Mit dem Zürcher Kammerorchester, das Hope seit 2016 leitet, hat er für zwei CDs Werke von fast 20 Komponisten aufgenommen. Das Spektrum reicht von der Spätromantik bis zum Impressionismus und frühen Kompositionen der zweiten Wiener Schule um Arnold Schönberg und Anton Webern. Zur Auswahl gehören Klassiker wie Jules Massenets »Méditation« und Claude Debussys »Rêverie«.

Sting Die Suche nach dem Klang in den Pariser Salons beschäftigt den Geiger schon lange. Bereits als Student habe er sich Stücke gemerkt, die er später einmal aufnehmen wollte. In der Zwischenzeit wurde er ein hochgefragter Solist. Der in Südafrika geborene Brite mit irischem Pass war lange Mitglied des legendären Beaux Arts Trios, wirkte aber auch an Plattenaufnahmen von Sting mit.

Seit 2016 leitet Hope das Zürcher Kammerorchester und seit 2018 das New Century Chamber Orchestra in San Francisco (Kalifornien). Außerdem ist er Präsident des Vereins Beethoven-Haus in Bonn und im Jubiläumsjahr des Komponisten auch deswegen viel unterwegs.

Daniel Hope hält den Spannungsbogen über mehr als zwei Stunden.

Schon 2014 hatte er an die Filmmusik-Komponisten Hollywoods erinnert, darunter auch an prominente Flüchtlinge aus Deutschland. Das Album hieß »Escape to Paradise«. Mit »Belle Epoque« lässt Hope nun wieder eine Zeit auferstehen, die – zwischen dem Deutsch-Französischen Krieg 1871 und dem Beginn des Ersten Weltkriegs – in der Katastrophe endet.

Für sein Projekt, sein größtes bisher, wie er sagt, begeisterte er auch bekannte Solisten, darunter die Pianistin Lise de la Salle und Stefan Dohr, den Solo-Hornisten der Berliner Philharmoniker.

Kammermusik Auf zwei CDs verbindet Hope dabei orchestrale Werke mit Kammermusik und Stücke von Komponisten, die weit nach vorne geblickt haben, wie Schönberg und Webern – »aber auch jene, die gesagt haben, wir gehen nirgendwo hin, wie Edward Elgar. Oder zurück in das 19. Jahrhundert.«

Im Mittelpunkt steht Ernest Chaussons Konzert für Violine, Klavier und Streichquartett. Hier liegt für Hope die musikalische DNA der »Belle Époque«: Der Wunsch, die Zeit anzuhalten und gleichzeitig nach vorne zu dringen, über die Grenzen der musikalischen Konventionen hinaus.

Hope hält den Spannungsbogen über mehr als zwei Stunden in einer musikalischen Dramaturgie, die von der Aufbruchstimmung bis zum Zerfall reicht. Am Ende erklingen von Anton Webern Vier Stücke für Violine und Klavier, komponiert 1910 und 1914 – dem Jahr, als der Erste Weltkrieg ausbrach.

Meinung

Der Fall Samir

Antisemitische Verschwörungen, Holocaust-Relativierung, Täter-Opfer-Umkehr: Der Schweizer Regisseur möchte öffentlich über seine wirren Thesen diskutieren. Doch bei Menschenhass hört der Dialog auf

von Philipp Peyman Engel  22.04.2024

Essay

Was der Satz »Nächstes Jahr in Jerusalem« bedeutet

Eine Erklärung von Alfred Bodenheimer

von Alfred Bodenheimer  22.04.2024

Sehen!

Moses als Netflix-Hit

Das »ins­pirierende« Dokudrama ist so übertrieben, dass es unabsichtlich lustig wird

von Sophie Albers Ben Chamo  22.04.2024

Immanuel Kant

Aufklärer mit Ressentiments

Obwohl sein Antisemitismus bekannt war, hat in der jüdischen Religionsphilosophie der Moderne kein Autor mehr Wirkung entfaltet

von Christoph Schulte  21.04.2024

TV

Bärbel Schäfer moderiert neuen »Notruf«

Die Autorin hofft, dass die Sendung auch den »echten Helden ein wenig Respekt« verschaffen kann

von Jonas-Erik Schmidt  21.04.2024

KZ-Gedenkstätten-Besuche

Pflicht oder Freiwilligkeit?

Die Zeitung »Welt« hat gefragt, wie man Jugendliche an die Thematik heranführen sollte

 21.04.2024

Memoir

Überlebenskampf und Neuanfang

Von Berlin über Sibirien, Teheran und Tel Aviv nach England: Der Journalist Daniel Finkelstein erzählt die Geschichte seiner Familie

von Alexander Kluy  21.04.2024

Glosse

Der Rest der Welt

Nur nicht selbst beteiligen oder Tipps für den Mietwagen in Israel

von Ayala Goldmann  20.04.2024

Frankfurt am Main

Bildungsstätte Anne Frank zeigt Chancen und Risiken von KI

Mit einem neuen Sammelband will sich die Institution gegen Diskriminierung im digitalen Raum stellen

von Greta Hüllmann  19.04.2024