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Tuvia Tenenboms Reisebericht »Allein unter Deutschen« hält der Bundesrepublik den Spiegel vor

von Hannes Stein  03.12.2012 18:23 Uhr

Mit gestellter Naivität den deutschen Dingen auf den Grund gegangen: Tuvia Tenenbom Foto: Isi Tenenbom

Tuvia Tenenboms Reisebericht »Allein unter Deutschen« hält der Bundesrepublik den Spiegel vor

von Hannes Stein  03.12.2012 18:23 Uhr

Eigentlich wollte Tuvia Tenenbom 2010 in den Gazastreifen fliegen. Aber dann rief Julia an, Julia vom Rowohlt-Verlag, und bot ihm an, er solle doch stattdessen lieber ein Buch über Deutschland schreiben. Da konnte Tenenbom natürlich nicht Nein sagen. Schließlich ist er mit Deutschland auf das Innigste verbunden: Er wurde 1957 in Tel Aviv als Sohn von Holocaust-Überlebenden geboren.

Heute leitet Tenenbom das »Jewish Theater of New York«, das einzige englischsprachige jüdische Theater in Amerika, wenn nicht überhaupt; von der Presse wird es regelmäßig mit Lob überschüttet, weil es nicht Ethnokitsch produziert, sondern gewagte, moderne Stücke, die dem Zuschauer immer wieder das Herz zerreißen.

locker Das Resultat von Tuvia Tenenboms Reise ist das Buch Allein unter Deutschen, das dieser Tage im Suhrkamp-Verlag erscheint. (Warum bei Suhrkamp und nicht bei Rowohlt? Wir kommen noch drauf.) Allein unter Deutschen steht in einer sehr amerikanischen Tradition, die mit Mark Twains The Innocents Abroad beginnt, Reisebücher, deren Ich-Erzähler sich ein bisschen naiver, ein bisschen dümmer stellt, als er in Wahrheit ist. Unbelastet von Kenntnissen, frei wie ein Vogel, macht er sich auf, das Unbekannte zu erkunden.

Zum Genre gehört dabei, dass der Stil sehr locker ist, formlos, gesprächig, durchsetzt von Pointen; diese amerikanischen Reisebücher werden sozusagen mit aufgekrempelten Hemdsärmeln geschrieben. Zum Genre gehört auch, dass der Autor keine Furcht kennt, dass er sich ganz nah an die von ihm beschriebenen Phänomene herantraut. Endlich gehört auch zum Genre, dass es sich zwar um humoristische Literatur handelt, der Ton aber immer bitterer und sarkastischer wird, je länger die Tour dauert. Ein Vertreter dieser Art von Reiseliteratur ist der große P.J. O’Rourke; ein anderer ist der berühmte Bill Bryson.

unversöhnlich Tuvia Tenenbom muss die Gesellschaft dieser großen und berühmten Leute nicht scheuen. Allerdings ist sein Deutschland-Buch am Ende eine Spur noch unversöhnlicher, eine Kleinigkeit bitterer, als es amerikanische Reiseberichte üblicherweise zu sein pflegen. Denn dies ist die Bilanz von Tenenboms Reise, die vom Mai bis zum September 2010 dauerte: »Es wird viel leichter sein, Frieden zwischen Arabern und Israelis im Allgemeinen zu stiften, als den Judenhass der Deutschen mit der Wurzel auszureißen.« Der islamische Antisemitismus liege »auf dem Tisch, es gibt keine Überraschungen«; der Judenhass der Deutschen aber sei »in tiefe gedankenreiche Argumente und magische Farbentricks eingewickelt, die das Auge blenden, außerdem verbirgt er sich hinter den vielen Masken, die in unserer westlichen Kultur normal sind«.

Ist dies also ein Buch darüber, wie Tuvia Tenenbom die Deutschen zu hassen lernte? Ja und Nein. Ja, weil er schnell herausbekommt, dass man in Deutschland zwar die toten Juden liebt, mit den lebenden aber enorme Probleme hat. Seine Reise fiel just in die Zeit jenes Hilfskonvois, der gen Gaza aufbrach, um die Hamas mit Propagandabildern zu versorgen und unterwegs von Soldaten der israelischen Kriegsmarine geentert wurde. Tenenbom stellte verblüfft fest, dass beinahe alle, die mit ihm in Deutschland darüber sprachen, ein- und derselben Meinung waren: Die Israelis sind Mörder, die näheren Umstände interessieren uns nicht, Punkt.

klezmer In Weimar hörte Tenenbom ein Klezmerkonzert in einem türkischen Restaurant. Einer der Musiker hat eine jüdische Urgroßmutter, aber er ist natürlich gegen die israelische Politik. Eine andere Musikerin will in einem früheren Leben mal Jüdin gewesen sein, aber sie bekommt einen Anfall, als Tenenbom auf Israel zu sprechen komm. Eine dritte Musikerin heißt Christiane, denkt, dass alle Israelis paranoid sind und besteht auf ihrem Recht, Israel in Grund und Boden zu kritisieren. Und Tuvia Tenenbom schreibt einen der traurigsten Sätze dieses Buches: »So un glücklich sind die Juden, dass es sich auch bei jenen, die ihre Kultur feiern, um ausgewiesene Idioten und unheilbare Rassisten handelt.«

Aber nein, dies ist kein Buch des Deutschenhasses. Denn Tuvia Tenenbom sucht ja nicht nach Antisemiten (sie laufen ihm nur dauernd über den Weg). Er sucht vielmehr nach Deutschen, die ihm ihr merkwürdiges Land erklären können, und findet dabei ein paar kluge, freundliche und witzige Leute, die in aller Ausführlichkeit gewürdigt werden. Er sucht sogar nach Möglichkeiten, sich mit diesem Land zu identifizieren. Am besten gelingt ihm das über die Küche: Viele Seiten dieses Buches handeln von (ganz und gar unkoscheren) Schlemmereien, denn Tuvia Tenenbom pflegt das schöne Hobby, sich von Spitzengastronomen bewirten zu lassen.

helmut schmidt Nebenbei gibt es auch allerhand Seltsamkeiten zu bestaunen: Warum etwa schildert Tenenbom ausgerechnet Helmut Schmidt, dem er in der Redaktion der »Zeit« in Hamburg begegnet, als weisen, alten Rabbiner? Anfangs hält man das für einen gelungenen Witz (schließlich lugt bei diesem ehemaligen Bundeskanzler hinter jeder Geste nicht der jüdische Großvater, sondern der Wehrmachtsoffizier hervor). Später ist man nicht mehr so sicher. Meint Tenenbom es am Ende gar ernst?

Habent sua fata libelli. Das Schicksal dieses Buches ist besonders bemerkenswert: Ursprünglich handelte es sich, wie gesagt, um eine Auftragsarbeit des Rowohlt Verlags, dann – die Ankündigungsplakate waren schon gedruckt – kam es zum großen Zerwürfnis, der Vertrag zwischen Autor und Verlag wurde mithilfe eines Anwalts aufgelöst. Rowohlt-Chef Alexander Fest sagt, es sei nur um juristische Fragen gegangen, Interviewpartner von Tuvia Tenenbom hätten nicht gewusst, dass sie in einem Buch vorkommen würden und darum mit Klagen gedroht.

Nach Tenenboms Darstellung (im Vorwort zur amerikanischen Ausgabe des Buches) ging es um viel ernsthaftere, nämlich inhaltliche Streitfragen: Seine Lektorin sei bei der Lektüre des Manuskripts völlig aus dem Häuschen gewesen, aber Alexander Fest habe die ganze Richtung nicht gepasst. Er habe darauf bestanden, dass Deutsche nicht etwa »Juden«, sondern »Israelis« hassen. In der Folge sei der Ton immer hässlicher geworden. »Diskussionen mit Herrn Fest oder jenen in seiner Firma, die er mit der Aufgabe betreute, mit mir zu verhandeln, erstreckten sich über Monate.

Für gewöhnlich legte er das schlimmste Verhalten an den Tag, das dieser Autor in professionellen Zusammenhängen je erlebt hat. Beleidigungen waren an der Tagesordnung, er und sein Kader von Gefolgsleuten schienen jede Gelegenheit zu genießen, sich gemein zu benehmen und sich zeitweise auf das Niveau des Antisemitismus herabzubegeben. Ich sei, so wurde mir an einem Punkt gesagt, ein ›jüdischer Hysteriker‹, so wie ›der Schutzheilige von ihnen allen, Woody Allen‹.«

bittere wahrheiten Ein Vorwurf, den Alexander Fest über Tenenboms Manuskript geäußert haben soll: Es sei »unterkomplex«. Dies wäre, wenn es denn stimmen würde, absurd. Wenn schon, dann könnte man Tenenbom eher das Gegenteil vorwerfen: Allein unter Deutschen ist überkomplex. Wenn er etwa eine Nazikneipe aufsucht und sich ein braunes Lied vorsingen lässt, in dem es darum geht, dass Juden ins Krematorium gehörten, dann fällt Tenenbom auf, dass der Sänger eine schöne Stimme hat. Wenn er sich in Marxloh mit zwei türkischen Fanatikerinnen streitet, die ihm erzählen, im Koran stehe, dass die Juden nur Krieg und Blutvergießen im Sinn hätten, dann vergisst er nicht, gleichzeitig zu erwähnen, wie hübsch und warmherzig seine Gesprächspartnerinnen gewesen seien. So kompliziert ist nämlich die Welt.

Allerdings gibt es zwischendurch auch wieder ganz einfache, beinahe monumentale Sätze. Zum Beispiel diesen hier: »Ich war aufgebrochen, um die Deutschen zu finden, und stattdessen finden sie jetzt mich.« Tuvia Tenenbom hat am eigenen Leibe erfahren, wie recht Saul Bellow einst hatte, als er sagte: »Ich könnte niemals in Deutschland leben, denn in Deutschland müsste ich 365 Tage im Jahr Jude sein, und ich habe Wichtigeres zu tun.«

Gut, dass Allein unter Deutschen mit einer kleinen Verspätung jetzt auch in dem Land zu haben ist, für das es immer gemeint war. Kann sein, dass nichtjüdische Deutsche den Spiegel nicht mögen werden, den dieser israelische Amerikaner ihnen vorhält. Juden werden etwas anderes feststellen: Dieses Buch enthält den Bittersaft der reinen, der ungefilterten Wahrheit.

Tuvia Tenenbom: »Allein unter Deutschen. Eine Entdeckungsreise«. Übersetzt von Michael Adrian. Suhrkamp, Berlin 2012, 431 S., 16,99 €

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