Fotografie

Sinfonie einer Großstadt

Als Andreas Feininger am 16. Dezember 1939 mit dem Dampfer in New York eintraf, rollten in Europa bereits die Panzer. Es war Krieg. Die Ankunft hätte ein Heimkommen sein können, immerhin war der Ankömmling der Sohn des berühmten Malers Lyonel Feininger und amerikanischer Staatsbürger. Doch Andreas Feininger ging ins Exil: Der 36-Jährige hatte die meiste Zeit seines Lebens in Deutschland verbracht und sprach kein Englisch, sondern Deutsch und Schwedisch.

Der jüdische Fotograf, geboren in Paris, aufgewachsen in Berlin, Weimar und Dessau, hatte die Bedrohung durch die Nationalsozialisten früh erkannt und war nach einem Zwischenspiel in Paris 1933 mit seiner schwedischen Frau nach Stockholm emigriert. Mit dem Einmarsch der Russen in Finnland wurde es auch dort brenzlig. Seine Eltern waren bereits 1937 wieder in die USA übergesiedelt.

STADTLEBEN Das Berliner Bröhan-Museum reist nun mit Andreas Feininger. New York in the Forties in die ersten Jahre des Fotografen in der neuen Heimat. Kurator Fabian Reifferscheidt hat die etwa 90 Bilder der Ausstellung auf drei Räume mit jeweils unterschiedlichem Schwerpunkt verteilt: eine Einführung zu Feininger und seiner Arbeit, Architektur und Stadtleben.

Feininger wird eingangs über ein Selbstporträt mit Lupe und Negativ als Techniker vorgestellt. Dies wird gerade bei den Architekturbildern von New Yorks urbaner Landschaft sichtbar: Mit einem selbst gebauten Teleobjektiv gelingt es ihm, die Abstände der Häuser derart optisch zu verdichten, dass sie dem Empfinden nahe­kommen, das der Mensch hat, wenn er – gleich einer Ameise – zwischen den zum Himmel ragenden Bauwerken steht. Seine »Rückseite des Rockefeller Center« macht dies deutlich.

Sein Vater, der Maler Lyonel Feininger, lehrte am Bauhaus in Dessau.

Feiningers Faszination für Architektur, gerade für das amerikanische moderne und zukunftsweisende Bauen, kam nicht von ungefähr: Sein Vater hatte am Bauhaus gelehrt. Damit wurde dem Sohn früh ein Sinn für klare, konstruktivistische Kompositionen mitgegeben, zudem hatte er Architektur studiert. Damals befasste er sich vermehrt mit Fotografie, die er in seinen Bauhausjahren für sich entdeckt hatte.

fokus Seine Bilder unterscheiden sich von denen seiner Kollegen wie Fred Stein und Lotte Jacobi, die ebenfalls nach New York emigrierten, vorrangig durch seinen Fokus auf die Architektur. Sie zeigen einerseits Motive, die sich ins ikonografische Gedächtnis eingeprägt haben, wie Manhattans Skyline bei Nacht, andererseits sind es Ansichten einer Landschaft, die heute nicht mehr existiert.

Da ist beispielsweise eine Erhebung außerhalb Manhattans, auf der Einfamilienhäuser wie Tupfer eine Wiese bedecken – und hinterm Horizont ragt surrealistisch einzig das Empire State Building hervor. Die Aufnahme ist schlicht unter »Empire State Building aus 22 Kilometern Entfernung fotografiert, New Jersey« verzeichnet.

Feininger arbeitete für das »Life«-Magazin, das seine Bilder millionenfach druckte.

Die steinernen Hochgeschosse New Yorks mögen vom Wesen her »tot« sein, aber in Feiningers Aufnahmen steckt Leben: dank der Stimmungen, die sich aus Licht und Wetter ergeben. Mal spiegelt sich gleißender Sonnenschein auf Eisenbahnschienen, mal lassen sich wirbelnde Schneeflocken auf Dächern nieder. Zur Brooklyn Bridge hat Feininger seine schwere Plattenkamera gleich mehrere Male geschleppt, und immer sieht die Brücke anders aus: bei Tag, im Lichterglanz bei Nacht und als Silhouette, die sich in der Ferne im Nebel auflöst. Auf diesen Moment hat er acht Stunden gewartet.

Das eigentliche Leben der Stadt findet sich in seinen Beobachtungen im dritten Raum: Hafenarbeiter, Schiffspassagiere mit Blick auf Manhattan, sich Sonnende auf Coney Island. Markant ist die Bildgruppe verschiedener Geschäfte beziehungsweise Viertel: Karl Ehmers Wurstgeschäft, ein italienisches und ein syrisches Lebensmittelgeschäft, chinesische Zeitungsverkäufer, Impressionen aus Harlem. Feininger war beeindruckt vom Nebeneinander der Kulturen.

Eine Reverenz an seine jüdische Herkunft bilden die vier Abbildungen jüdischer Geschäfte, selbst wenn Religion in der Familie nie präsent war. Da sind der »Devotionalienladen in der Orchard Street« und die »Jüdische Nähstube in der Lower East Side«. Die Bedeutung New Yorks für die jüdische Gemeinschaft ist in den letzten beiden Bildern dokumentiert: Sie zeigen den jüdischen Friedhof in Queens. Feininger mag von den aneinander gereihten Grabsteinen geleitet gewesen sein, die grafisch dem Horizont der Stadt ähneln, doch die Weite der Ruhestätte zeigt auch, wie groß die jüdische Gemeinde dort war.

BILDBAND Das Konzept von Andreas Feininger. New York in the Forties ist nicht neu. Es basiert auf Feiningers gleichnamigem Bildband von 1978. Die Bilder, teils Originalabzüge, sind Leihgaben des Zeppelin Museums Friedrichshafen. Dennoch lohnt die Ausstellung. Feininger hat mit seinen klassischen, präzisen Aufnahmen New York meisterhaft porträtiert und das Bild dieser Großstadt geprägt.

Er arbeitete als Fotojournalist für das »Life«-Magazin, das seine Bilder millionenfach druckte. Zudem vermitteln die Bilder heute einen guten Eindruck von dem, was die vielen Emigranten damals in der Stadt vorfanden. Feininger starb 1999 im Alter von 93 Jahren in New York. Die Ausstellung ist eine schöne Hommage an sein Werk und die Stadt, die er liebte.

Die Ausstellung ist bis 28. Mai zu sehen.
www.broehan-museum.de

Kommentar

AfD in Talkshows: So jedenfalls nicht!

Die jüngsten Auftritte von AfD-Spitzenpolitikern in bekannten Talk-Formaten zeigen: Deutsche Medien haben im Umgang mit der Rechtsaußen-Partei noch viel zu lernen. Tiefpunkt war das Interview mit Maximilian Krah bei »Jung & Naiv«

von Joshua Schultheis  24.04.2024

Meinung

Der Fall Samir

Antisemitische Verschwörungen, Holocaust-Relativierung, Täter-Opfer-Umkehr: Der Schweizer Regisseur möchte öffentlich über seine wirren Thesen diskutieren. Doch bei Menschenhass hört der Dialog auf

von Philipp Peyman Engel  22.04.2024

Essay

Was der Satz »Nächstes Jahr in Jerusalem« bedeutet

Eine Erklärung von Alfred Bodenheimer

von Alfred Bodenheimer  22.04.2024

Sehen!

Moses als Netflix-Hit

Das »ins­pirierende« Dokudrama ist so übertrieben, dass es unabsichtlich lustig wird

von Sophie Albers Ben Chamo  22.04.2024

Immanuel Kant

Aufklärer mit Ressentiments

Obwohl sein Antisemitismus bekannt war, hat in der jüdischen Religionsphilosophie der Moderne kein Autor mehr Wirkung entfaltet

von Christoph Schulte  21.04.2024

TV

Bärbel Schäfer moderiert neuen »Notruf«

Die Autorin hofft, dass die Sendung auch den »echten Helden ein wenig Respekt« verschaffen kann

von Jonas-Erik Schmidt  21.04.2024

KZ-Gedenkstätten-Besuche

Pflicht oder Freiwilligkeit?

Die Zeitung »Welt« hat gefragt, wie man Jugendliche an die Thematik heranführen sollte

 21.04.2024

Memoir

Überlebenskampf und Neuanfang

Von Berlin über Sibirien, Teheran und Tel Aviv nach England: Der Journalist Daniel Finkelstein erzählt die Geschichte seiner Familie

von Alexander Kluy  21.04.2024

Glosse

Der Rest der Welt

Nur nicht selbst beteiligen oder Tipps für den Mietwagen in Israel

von Ayala Goldmann  20.04.2024