Wuligers Woche

Siedler? Nein, Glatzkopf!

Warum meine Kippa politisch verdächtig ist

von Michael Wuliger  24.07.2018 11:54 Uhr

Kolumnist mit Corpus Delicti Foto: Gregor Zielke

Warum meine Kippa politisch verdächtig ist

von Michael Wuliger  24.07.2018 11:54 Uhr

Ich lese gerne Beiträge in Online-Kommentarspalten. Gewiss, dort toben sich vor allem Wichtigtuer, Spinner und Extremisten jeglicher Couleur aus. Gelegentlich trifft man aber auch auf verkannte Experten. Ein Leser einer sich ihrer Seriosität gern rühmenden Berliner Tageszeitung beispielsweise hat vergangene Woche, nachdem mal wieder Kippaträger in verschiedenen deutschen Städten angegriffen wurden, auf einen bisher ignorierten Aspekt der Attacken hingewiesen.

Es komme, schrieb er, auf die Kippa an, welche die Verprügelten trugen. Wäre es etwa eine gehäkelte Kopfbedeckung gewesen – Hebräisch »kippa sruga« –, könne man die Angriffe nachvollziehen. Gehäkelte Kippot seien nämlich ein Erkennungszeichen von Siedlern im Westjordanland und deshalb für Palästinenser eine politische Provokation. Mit Antisemitismus hätten die Attacken in dem Fall nichts zu tun. Es handele sich um legitime, wenn auch etwas drastische Kritik an der Besatzung.

Struktur Jetzt habe ich ein Problem. Ich besitze nämlich auch so eine Kippa. Nicht aus politischen, sondern aus kappilarischen Gründen. Wie viele Männer meines Alters habe ich nur noch spärlichen Haarwuchs. Gewöhnliche Kippot fallen deshalb leicht vom Kopf. Mit Klammern befestigen lassen sie sich mangels Haaren auch nicht. Die gehäkelte Kippa jedoch verbindet sich dank ihrer Oberflächenstruktur quasi organisch mit den Resthaaren und liegt sicher auf. Selbst wenn ich mich beim Amida- oder Alenu-Gebet verbeuge, fällt sie nicht herunter. Ein in jeder Hinsicht praktisches Stück Stoff.

Dass ich damit auch ein politisches Statement abgebe, war mir lange Zeit nicht bewusst. Erst als ich kürzlich bei einer Bekannten zum Schabbat eingeladen war, wurde mir die Tragweite meiner Kopfbedeckung klar. Als ich zu den Brachot die Kippa aufsetzte, schaute sie mich prüfend an und meinte: »Bist du inzwischen rechts geworden?«

Seither ist mir die Unbefangenheit beim Kippa-Tragen abhanden gekommen. Lädt der Veranstalter eines linksliberalen jüdischen Gesprächskreises mich nicht mehr zu seinen Treffen ein, weil er mich mit dem gehäkelten Corpus Delicti gesehen hat? Hat die Frau, die ich nach dem Gottesdienst zum Kaffee eingeladen hatte, mich deshalb so brüsk abgewiesen? Muss ich mir jetzt eine unverdächtige Kippa besorgen und mühsam mit Klebestreifen an der Glatze befestigen?

Besatzung Dann aber sah ich ein Foto von Avraham Burg. Burg hat Glatze und trägt – wahrscheinlich deshalb – wie ich eine Kippa sruga. Außerdem ist er ein prominenter israelischer Linker und vehementer Kritiker der Besatzung. Deshalb wird er gerne auch im Ausland als Redner zu antizionistischen Veranstaltungen eingeladen.

Deutschland würde ich ihm allerdings nicht als Auftrittsort empfehlen. Hier könnte ihm passieren, dass er wegen seiner Kippa von Mitstreitern besatzungskritisch eins auf die Mütze kriegt.

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter  28.03.2024

Sachbuch

Persönliches Manifest

Michel Friedman richtet sich mit seinem neuen Buch »Judenhass« bewusst an die allgemeine Öffentlichkeit, er appelliert aber auch an den innerjüdischen Zusammenhalt

von Eugen El  28.03.2024

USA

Daniel Kahneman ist tot

Der Wissenschaftler Daniel Kahneman kombinierte Erkenntnisse aus Psychologie und Ökonomie

 28.03.2024

Bildung

Kinderbuch gegen Antisemitismus für Bremer und Berliner Schulen

»Das Mädchen aus Harrys Straße« ist erstmals 1978 im Kinderbuchverlag Berlin (DDR) erschienen

 27.03.2024

Bundesregierung

Charlotte Knobloch fordert Rauswurf von Kulturstaatsministerin Roth

IKG-Chefin und Schoa-Überlebende: »Was passiert ist, war einfach zu viel«

 26.03.2024

Kultur

Über die Strahlkraft von Europa

Doku-Essay über die Theater-Tour von Autor Bernard-Henri Levy

von Arne Koltermann  26.03.2024

Projekt

Kafka auf Friesisch

Schüler der »Eilun Feer Skuul« in Wyk auf Föhr haben ihre friesische Version des Romans »Der Verschollene« vorgestellt

 25.03.2024

Berlin

Hetty Berg als Direktorin des Jüdischen Museums bestätigt

Ihr sei es gelungen, die Institution »als Leuchtturm für jüdisches Leben« weiterzuentwickeln, heißt es

 25.03.2024

Judenhass

Wie der Historikerstreit 2.0 die Schoa relativiert

Stephan Grigat: Der Angriff auf die »Singularität von Auschwitz« kommt nun von links

 25.03.2024