Ferdinand von Schirach

»Sie werden von mir kein Wort gegen Israel hören«

Der Jurist und Schriftsteller Ferdinand von Schirach bei einer Veranstaltung in Köln 2022 Foto: picture alliance / Panama Pictures

»Jemandem mit meinem Nachnamen steht in den nächsten fünfhundert Jahren nicht zu, irgendetwas dazu zu sagen«, betonte Ferdinand von Schirach. Und er blieb dabei, obwohl Markus Lanz hartnäckig versuchte, dem Enkel des als Hauptkriegsverbrecher verurteilten NS-Reichsjugendführers Baldur von Schirach (1907-1974) etwas Kritisches zu Israel und dessen Krieg gegen die palästinensische Terrororganisation Hamas in Gaza zu entlocken.

Der ZDF-Talkmaster biss in seiner Sendung vom Mittwochabend auf Granit. Das lag nicht daran, dass Ferdinand von Schirach etwa aus familiärer Scham heraus geschwiegen hätte. Nein, er redete klar und deutlich, nahm Israel gegen die massiven Anwürfe aus Deutschland in Schutz und verwies dabei argumentativ nicht nur auf die jüngere deutsche Geschichte. »Sie werden von mir kein Wort gegen Israel hören«, stellte von Schirach mehrfach klar.

»Keine Belehrungen von Deutschen nötig«

Ob es denn richtig sei, dass Israel angeblich »eine ganze Bevölkerung kollektiv bestraft«, wollte Lanz von dem Rechtsanwalt und Schriftsteller wissen. Die Antwort: »Israel ist nach wie vor ein Rechtsstaat, und die Menschen in Israel demonstrieren gegen Netanjahu in großer Zahl. Und sie haben Belehrungen von Deutschen nicht nötig, wie sie mit Netanjahu umzugehen haben.«

Zuvor schon hatte der 61-Jährige mit klaren Aussagen die Sendung dominiert. Neben von Schirach hatte Lanz die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) und die Journalistin Kerstin Münstermann eingeladen. Wie bei dem populären TV-Format üblich, ging es auch am Mittwoch um ein Potpourri von Themen: um die Reform des Steuerrechts, um Abschreibungsmöglichkeiten für Aktentaschen, um Änderungen bei den sozialen Sicherungssytemen. Und zum Schluss ging es wieder einmal um Israel und Gaza.

Ohne Experte zu sein (»Ich bin kein Politiker, ich bin kein Sozialwissenschaftler, kein Meinungsforscher«), brillierte von Schirach mehrfach mit einprägsamen Aussagen. Das war auch der Fall, als gegen Ende der Nahostkonflikt zur Sprache kam.

Er habe als Strafverteidiger schon viele schlimme Sachen gesehen, sagte von Schirach. Aber noch nie solch grausame Verbrechen wie jene der Hamas an Israelis am 7. Oktober 2023. Dann beschrieb er eindringlich, wie Frauen an jenem Tag von Terroristen vergewaltigt und verstümmelt wurden. »Warum stehen die Leute (in Deutschland) nicht auf und demonstrieren gegen die Hamas?« fragte er Lanz. Stattdessen werde auch hierzulande fast nur gegen Israel protestiert.

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Auch die von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) Anfang August verkündete teilweise Einstellung deutscher Waffenlieferungen an Israel kritisierte von Schirach. »Das kann man doch sehr elegant regeln. Man kann Verträge mit der israelischen Regierung machen… Da schreibt man dann rein: ›Ihr dürft die Waffen nicht völkerrechtswidrig einsetzen. Wenn Israel einen solchen Vertrag unterzeichnet, dann wäre für mich die Sache erledigt«, sagte er. Es gebe ja eine solche Zusicherung.

Lanz wandte ein, die Bilder der Zerstörung aus Gaza sprächen doch eine andere Sprache. Und Münstermann, Leiterin des Büros der »Rheinischen Post« in Berlin und Mitglied der Chefredaktion ihrer Zeitung, gab zu bedenken: »Dass man gar nichts sagt als Freund Israels, das finde ich auch schwierig.« Dennoch respektiere sie von Schirachs Haltung.

»Es ensteht der Eindruck doppelter Standards«

Man könne durchaus andere Standpunkte haben, konzedierte dieser, müsse aber immer beachten, dass Israel ein »von Feinden umgebener Staat« sei und »der einzige demokratische Rechtsstaat nach westlichem Vorbild«, den es im Nahen Osten gebe.

Ob das die »kollektive Bestrafung« der Menschen in Gaza rechtfertige, die überwiegend aus Frauen und Kindern bestehe, wollte Lanz wissen. Von Schirach ging nicht darauf ein. Er schlug stattdessen vor, dass die arabischen Staaten die Führer der Hamas an Israel ausliefern sollten, um sie dort vor Gericht zu stellen. So könne man die Täter-Opfer-Umkehr, die seit dem 7. Oktober stattfinde, verhindern.

Dem Moderator leuchtete das nicht so recht ein. »Es wäre genauso eine anständige Lösung – sofern man von Anstand hier überhaupt reden kann – zu sagen, Frauen und Kinder können raus (aus Gaza), und dann sagen wir euch, ›Wir machen euch platt‹. Stattdessen machen wir alles platt und es entsteht der Eindruck, die einen dürfen etwas, was bei anderen verurteilt wird. Es entsteht der Eindruck von doppelten Standards.«

Dann zog Lanz Parallelen zum Krieg in der Ukraine, wo es auch zu völkerrechtswidrigen »Bestrafung von Zivilbevölkerung« gekommen sei. Es war ein Einwand, den von Schirach nicht gelten ließ. Er denke nicht, dass man in Bezug auf Gaza von »Bestrafung« reden könne. Anke Rehlinger mühte sich anschließend, die »Gratwanderung« zu erklären, die ihre Partei gerade vornehme.

Es gelte, »das Existenzrecht Israels zu verteidigen, die Staatsräson zu sichern und gleichzeitig für die Einhaltung von universellen Menschenrechten dort einzutreten.« Weil es nicht nur Schwarz oder Weiß gebe, sondern Grautöne, brauche es »jeden Tag« Debatten zu diesem Thema, sagte die Ministerpräsidentin und stellvertretende SPD-Parteivorsitzende.

Markus Lanz dürfte es als Ermunterung verstanden haben, das Thema alsbald in anderer Besetzung erneut zu erörtern.

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