Debatte

Schwer zu sejn a Konvertit

»Ein Übertritt erfordert Mut, den eigenen Überzeugungen zu folgen«: Antje Yael Deusel Foto: Tobias Barniske

In der vergangenen Ausgabe schrieb die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff über ihre Bedenken gegen die Konversion nichtjüdischer Deutscher zum Judentum. Die Bamberger Rabbinerin Antje Yael Deusel hat darauf eine Replik verfasst.

»Schwer zu sejn a Jid«, lautet ein allbekannter Stoßseufzer. Aber noch viel schwerer ist es, wenn dieser Jid auch noch ein Konvertit ist. Dabei ist der Übertritt zu einer anderen Glaubensgemeinschaft, und gerade zum Judentum, kein leichter Schritt. Und das soll er auch nicht sein – bedeutet ein Giur, eine Konversion zum jüdischen Glauben also, doch nicht mehr und nicht weniger als eine Loslösung von den bisherigen Traditionen und Lebensgewohnheiten und eine Eingliederung in eine andere Glaubens- und Lebensform, ja, die Verbindung mit einer anderen Schicksalsgemeinschaft als derjenigen, in die man hineingeboren oder auch hineingewachsen war.

ruth und naomi
Als Prototyp gilt die biblische Gestalt der Ruth: Ein Mädchen aus Moaw (einem Volk übrigens, das bei den Israeliten absolut nicht gut angesehen war) verlässt ihr Heimatland, um mit ihrer israelitischen Schwiegermutter Naomi ins Land Israel zu gehen. Naomi versucht, sie davon abzuhalten, stellt ihr alle möglichen Nachteile vor Augen, will sie bewegen, in ihrer Heimat, ihrer bisherigen Kultur zu bleiben, einen neuen Mann aus ihrem eigenen Volk zu finden, mit ihm eine Familie zu gründen.

Es wäre so viel einfacher gewesen für Ruth; aber sie sagt zu Naomi: »Wo du hingehst, will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich auch; und da will ich auch begraben werden.« Bedeutungsvolle Worte und die Zusammenfassung all dessen, was so ein Übertritt mit sich bringt, bis in die heutige Zeit hinein.

Warum tut Ruth so etwas? Ihre Schwiegermutter ist keineswegs reich, und von ihrem späteren Mann Boas weiß Ruth noch gar nichts. Finanzielle Gründe können es also nicht gewesen sein, und auch nicht die konkrete Absicht, sich mit einem jüdischen Partner zu verheiraten. Ganz sicherlich wollte sie sich auch nicht vom Land Moaw distanzieren – welchen Grund hätte sie dafür gehabt? Nein, Ruth tut es aus Überzeugung: So will sie leben, wie Naomi lebt, und so will sie glauben.

motive
Seit jenen Zeiten sind unzählige Menschen zum Judentum konvertiert, aus unterschiedlichen Gründen; und nicht alle Geschichten haben ein Happyend.

Warum konvertieren Menschen überhaupt zum Judentum? Die allermeisten tun diesen Schritt aus der festen Überzeugung heraus, dass die jüdische Religion für sie den richtigen Glaubensweg darstellt, so schwer er auch sein mag. Menschen, die in ihrer bisherigen Glaubenszugehörigkeit, oder auch im Atheismus, nicht die Antworten auf ihre Fragen an das Leben und an das, was danach kommen mag, gefunden haben. Oder auch solche, die Nachkommen aus »Mischehen« mit einem jüdischen Vater sind.

Man macht es diesen Menschen nicht leicht, und leicht wollen sie diesen Schritt über die Schwelle auch gar nicht nehmen. In der Regel bedarf es viele Jahre der Vorbereitung, des Lernens, der Orientierung und schließlich der Identifikation. Und nicht wenige kehren um auf diesem Weg, gehen ihn nicht bis zum Giur vor dem Beit Din, weil die inneren Zweifel doch überwiegen. Manche streben eine Konversion an, weil sie einen jüdischen Partner, eine jüdische Partnerin haben. Auch ihnen wird der lange Weg hinein ins Judentum nicht erspart. Denn es ist ein innerer Weg, eine innere Entwicklung, und dafür braucht es Zeit.

Wenn der äußere Weg und die innere Entwicklung nicht miteinander Schritt halten, dann kann ein Mensch zwar nach außen hin dem Judentum angehören, aber es fehlt ihm die Identifikation mit dem Jüdischen. Dann wird ihm das Judentum zur Maske, die er nach außen zur Schau stellt, während er sich innerlich davon distanziert. Beispiele dafür gibt es zur Genüge, und sie bescheren dem Betroffenen ein tragisches Dasein der inneren Zerrissenheit. Glücklicherweise sind sie nicht die Regel, sondern die Ausnahme.

animositäten
Wie geht das Judentum selbst mit Konvertiten um? Vielleicht erfreut, weil sich jemand für die Tradition, für den Glauben, für die Lebensweise interessiert? Oder verärgert, weil sich hier jemand an einer vermeintlichen Opferrolle beteiligen will, die ihm doch eigentlich gar nicht zusteht?

Das wäre widersinnig; denn niemand, der bei klarem Verstand ist, wird freiwillig anstreben, ein Opfer zu sein. Oder etwa missgestimmt, weil da einer, der noch nicht einmal eine jüdische Mutter hatte, somit nicht ins Judentum hineingeboren ist (vom Vater ist geflissentlich nicht die Rede), auf einmal gleichberechtigt dazugehören soll?

Das Judentum ist eine große Familie und gleichzeitig eine Schicksalsgemeinschaft; und gerade so wie in jeder Familie gibt es bisweilen Animositäten – jüngere Geschwister, neue Schwiegersöhne und Schwiegertöchter haben es manchmal nicht ganz leicht. Sie gehören dazu, aber nicht immer stehen alle Familienmitglieder den »Neuen« aufgeschlossen gegenüber.

Und doch sagt die jüdische Mystik, jeder Mensch, der zum Judentum konvertiert, sei jemand mit einer jüdischen Seele, die zurückstrebt in ein jüdisches Leben. Sehr weise hat die Halacha bereits vor langer Zeit entschieden, dass ein Ger, eine Gioret als genauso jüdisch zu betrachten sind wie ein Jude, eine Jüdin von Geburt, mit allen Rechten und Pflichten.

Akzeptanz
Ein ganz anderes Problem mit der Akzeptanz findet sich dagegen dort, wo der Konvertit ursprünglich herkam, nicht nur in seiner eigenen Familie, sondern vor allem in der nichtjüdischen Umgebungsgesellschaft. Wie kommt einer dazu, sein angestammtes kulturelles, traditionelles, religiöses Umfeld zu verlassen? Gut, wenn man ihn zwingt, oder wenn er jemanden aus diesem anderen Kulturkreis heiraten möchte, dann mag man es gerade noch akzeptieren.

Aber freiwillig und ohne ersichtlichen Grund? Impliziert das nicht, das dieser Konvertit glaubt, das Judentum sei die bessere Art zu leben und zu glauben? Welch ein Verrat an der eigenen Kultur, an der eigenen Tradition, an der eigenen Religion!

Oder ist derjenige einfach nur psychotisch? Nun, falls nicht, wird er es bestimmt noch werden! Die Umgebungsgesellschaft versteht oft nicht, weshalb einer einen anderen Weg geht als sie selbst, und sie verzeiht ihm diese vermeintliche Zurücksetzung auch kaum. Manche(r) betont gar noch, Beifall heischend: Also, ich bin ja wirklich tolerant, aber »so etwas« würde ich ja nie tun. Gerade darin zeigt sich eine tief verwurzelte Ablehnung, nicht nur des Judentums übrigens, und es demaskiert die eigene Sichtweise auf »die Juden«.

Wirkliche Toleranz sieht anders aus. Und vielleicht schwingt da auch ein wenig Neid mit, auf den Mut derjenigen, die es wagen, ihrer Überzeugung konsequent zu folgen.

Antje Yael Deusel, geboren 1960 in Nürnberg, ist Urologin, Rabbinerin und Mohelet. Sie konvertierte selbst zum Judentum und amtiert als Rabbinerin der Israelitischen Kultusgemeinde in Bamberg.

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