Schimon Peres

Schmerzlich vermisst

Außenminister, Premier, Staatspräsident, Friedensnobelpreisträger: Schimon Peres (1923–2016) Foto: Flash90

Schimon Peres

Schmerzlich vermisst

Vor 100 Jahren wurde der Architekt des modernen Israel geboren

von Paul Bentin  02.08.2023 15:31 Uhr

Es war einer der Termine so ganz nach seinem Geschmack. Im Kibbuz Dorot, nahe der von Raketen geplagten Kleinstadt Sderot, stand er selbst im hohen Alter von 91 Jahren noch im Fußballtor, in der einen Hand das Mikrofon, in der anderen einen Lederball.

Die Operation »Protective Edge« lag erst wenige Tage zurück, aber Schimon Peres, seit Sommer 2014 nicht mehr Israels Staatsoberhaupt, hatte rund 80 jüdische und arabische Kids aus den Ortschaften nahe des Gazastreifens sowie aus der Region Yatta im südlichen Westjordanland zum gemeinsamen Kicken eingeladen. »Ihr seid die Generation der Zukunft«, feuerte er die Jugendlichen an. »Zeigt, wie ihr miteinander und nicht gegeneinander spielen könnt.«

MAXIME Diese Aufforderung, gemeinsam zu handeln und sich so näherzukommen, war zeit seines Lebens seine politische Maxime, auch in diesen Tagen unmittelbar nach dem Krieg in Gaza. Peres prägte deshalb schon vor über 20 Jahren eigens das Schlagwort vom »Neuen Nahen Osten«, in dem Frieden herrscht und wo der grenzüberschreitende Austausch von Waren und Wissen der Region eine Ära des Wohlstands beschert.

Von seiner Vision eines »Neuen Nahen Ostens« ist kaum etwas geblieben.

Dieser Tage wäre der 1923 im belarussischen Wisziniew geborene Schimon Peres 100 Jahre alt geworden – so wie kürzlich der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger, mit dem er jahrzehntelang befreundet war. Und angesichts der Zerreißprobe, vor der die israelische Gesellschaft gerade steht, denken viele Israelis nicht ohne eine gewisse Spur Wehmut und Nostalgie an jene gar nicht so lange zurückliegenden Zeiten, als das politische Urgestein selbst im gehobenen Rentenalter fast täglich in den Medien zu sehen war.

Manche fragen sich dann, was er wohl zu der aktuellen Situation in Israel sagen würde. Über die Antworten kann man nur spekulieren. Doch eines ist sicher: Positiv hätte sich Schimon Peres garantiert nicht dazu geäußert. Mit großer Wahrscheinlichkeit wäre er von den Ministern der amtierenden Regierungskoalition als »Linker« oder »Verräter« diffamiert worden und müsste heute wüste Beschimpfungen über sich ergehen lassen. Von seiner Vision eines »Neuen Nahen Ostens« ist ohnehin kaum etwas übrig geblieben.

Hoffnung Nun hatte Schimon Peres seine Vision zu einer Zeit formuliert, als gerade das Gaza-Jericho-Abkommen unterzeichnet wurde und der Friedensprozess von Oslo viel Anlass zu Hoffnung gab. Eine Verständigung zwischen Israelis und Palästinensern schien in greifbare Nähe gerückt. Als Außenminister hatte er selbst großen Anteil an diesen Entwicklungen, weshalb man ihm 1994 zusammen mit Israels damaligem Premier Yitzhak Rabin und Palästinenser-Chef Jassir Arafat denn auch den Friedensnobelpreis verlieh.

Schon damals galt Peres als Elder Statesman, und die Zeremonie war zweifellos die Krönung einer jahrzehntelangen politischen Karriere, die untrennbar mit der Geschichte des jüdischen Staates verknüpft ist. Verteidigungs- und Außenminister, Regierungschef und Staatspräsident, es dürfte wohl kaum ein wichtiges Amt geben, das Peres seit 1948 nicht bekleidet hatte. Und gerade in den frühen Tagen des jüdischen Staates war er es, der die Überlebensfähigkeit Israels sichern sollte. Zwar nicht persönlich auf dem Schlachtfeld, dafür aber als gewiefter Organisator und strategisch denkender Politiker. Dabei verlief seine Karriere alles andere als geradlinig, Rückschläge gehörten mit dazu.

1934 wanderte Schimon Peres mit seiner Familie nach Palästina aus. Bereits als Jugendlicher schloss er sich der von der Arbeiterpartei Mapai und der von ihr dominierten Kibbuz-Bewegung an, auch wenn Feldarbeit und Wacheschieben wohl nicht wirklich sein Ding waren. Immerhin lernte er dabei die Frau seines Lebens kennen: »Ein barfüßiges junges Mädchen, mit langen braunen Zöpfen und schönen, griechisch anmutenden Gesichtszügen«, schwärmte er noch Jahrzehnte später. »Ich war völlig hingerissen.« Es war Sonia, seine zukünftige Ehefrau. Ganz Kibbuznik, der er damals war, las er ihr bei Mondschein Marx vor – Romantik pur! Dennoch heiratete ihn Sonia, und sie blieben bis zu ihrem Tod im Jahr 2011 ein Paar.

Aufgaben Die politischen Gremien der Kibbuz-Bewegung sollten auch so etwas wie das Sprungbrett für seine spätere Laufbahn werden. Frühzeitig erkannte David Ben Gurion das Organisationstalent des jungen Mannes und machte ihn zu seinem Adlatus.

Der Staatsgründer betraute Peres mit logistischen Aufgaben für die damals sich im Aufbau befindliche israelische Armee. Zuerst als stellvertretender Generaldirektor, dann als Leiter des Verteidigungsministeriums verfügte er bald über die besten Verbindungen zu Politikern in aller Welt und galt zudem als äußerst erfindungsreich, wenn es darum ging, Waffen für die Zahal zu beschaffen.

Darüber hinaus hatte Peres maßgeblich Anteil am Zustandekommen der ersten strategischen Allianzen mit ausländischen Mächten. Den Anfang machte damals Frankreich. Die von ihm mitbegründete »French Connection« bildete so etwas wie das Rückgrat der israelischen Rüstungs- und Atompolitik der frühen Jahre, deren Ziele Peres als graue Eminenz im Hintergrund sorgsam absteckte.

Vendetta Die Tage von Oslo sollten mit dazu beitragen, dass er sich als Teil des Gespanns Peres–Rabin weltweit das Image eines idealistischen »Architekten der Versöhnung« aufbauen konnte. Dabei lag hinter beiden Politikern eine jahrzehntelange Vendetta, die es in sich hatte und Peres den Ruf einhandelte, nicht nur ein charmanter Visionär zu sein. So war er maßgeblich an der umstrittenen Auflösung der militärischen Eliteeinheit Palmach beteiligt, Rabin als einer ihrer Kommandeure zeigte sich wenig begeistert.

Peres favorisierte die Allianz mit Frankreich, Rabin dagegen wollte ein Bündnis mit den Vereinigten Staaten, auch stritten sich beide bis aufs Messer um den Vorsitz in der Arbeiterpartei. »Rabin ist ein vernünftiger Mann, aber bisweilen neigt er zu übertriebenem Misstrauen«, stichelte Peres noch 1995 in seinen Memoiren. Wenn es aber um die Sicherheit des Staates Israel ging, vergaßen sie ihre Rivalitäten sofort.

Auf Peres’ Karriere schien manchmal ein Fluch zu lasten.

Dennoch schien auf Peres’ Karriere manchmal ein Fluch zu lasten, zahlreiche Niederlagen pflasterten seinen Weg. Sogar wenn alle Wetten zu seinen Gunsten ausfielen, blieb er doch der »ewige Zweite«. Und obwohl dreimal für eine kurze Zeit an der Spitze der Regierung hatten ihn die Israelis nie wirklich gewählt.

soldat Vielleicht misstrauten sie ihm, weil er, anders als die meisten Verantwortlichen in den höchsten politischen Ämtern Israels, nie richtig Soldat war. Es mangelte deshalb am Stallgeruch des Militärs, und Peres galt nur als Technokrat. Selbst das Amt des Präsidenten sollte er nur im zweiten Anlauf ausüben dürfen, nachdem er sich im Jahr 2000 gegen Mosche Katzav nicht durchsetzen konnte.

Trotzdem, knapp 50 Jahre gehörte Peres der Knesset an, als Minister diente er in zwölf Regierungen. Und so hatte es der charmant auftretende Schimon Peres geschafft, in der Welt lange Zeit das Gesicht des jüdischen Staates zu sein, »Mister Israel« höchstpersönlich. Im September 2016 starb Schimon Peres in Tel Aviv im Alter von 93 Jahren.

»They ainʼt making Jews like Jesus anymore« heißt ein Stück des bekannten texanisch-jüdischen Country-Musikers Kinky Friedman. In Anlehnung an diesen Songtitel könnte man heute sagen: »They ainʼt making politicians like Peres anymore.«

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