Antisemitismus

Schlechtes Zeugnis für deutsche Schulen

Ben Salomo wurde in Israel geboren. Foto: picture alliance/dpa

Der »erschreckte Blick« bei Schülern, die erstmals einem Juden begegnen. Eine Lehrerin, die empathielos zwei Tage nach den Massakern der Hamas Benjamin Netanjahu dafür verantwortlich macht. Lehrer, die dem israelischen Existenzrecht ein »Aber« folgen lassen. Oder Schulleitungen, die nicht wissen, ob es an ihrer Schule jüdische Schüler gibt, die sich aus Angst nicht zu erkennen geben – das sind nur einige der Erfahrungen, die Ben Salomo bei seinen Auftritten in Schulen hierzulande machen musste. Davon und von noch viel mehr Antisemitismus und Israel-Hass erzählt der Rapper in seinem neuen Buch Sechs Millionen, wer bietet mehr?

Ben Salomo verknüpft darin episodische Erzählungen aus seiner eigenen Biografie mit Erlebnissen an Schulen sowie Fakten zu den Themen Antisemitismus und Nahostkonflikt. Er selbst war im Alter von vier Jahren mit seiner Familie aus Israel nach Berlin gezogen, wo er mit elf Jahren zum ersten Mal mit Judenfeindschaft konfrontiert wurde.

Antisemitismus, Hass auf Israel und Homophobie

In der Schulzeit und später als Künstler erlebte er ebenfalls zahlreiche Angriffe, nicht zuletzt innerhalb des Kulturbetriebs, vor allem aber in der Rap-Szene. Dort würden Antisemitismus, der Hass auf Israel und Homophobie quasi zum guten Ton gehören, die »Gewalt als Mittel von Stärke und Männlichkeit« sei allgegenwärtig.

Seine Erlebnisse an Schulen können erschüttern – nicht zuletzt deshalb, weil Einladungen an ihn oft mit der wohlmeinenden Absicht erfolgt sind, über den Antisemitismus aufzuklären. Egal, ob Gymnasium oder Realschule, unter den meist »judenfreien« Lernenden und Lehrenden zeige sich ein wenig informiertes Israelbild.

Linker Judenhass werde geleugnet, Kritik am islamistischen Antisemitismus dagegen oft reflexartig als »antimuslimischer Rassismus« gebrandmarkt und dieser immer wieder als »vermeintliches Ausgleichsgewicht« bei entsprechenden Vorwürfen oder Vorfällen argumentativ in Stellung gebracht. Die mögliche Anwesenheit jüdischer Schüler werde selbst bei Exkursionen zu KZ-Gedächtnisstätten entweder nicht mitgedacht oder sogar als störend empfunden.

Kufiya als Dresscode

Dem größten Hass begegnete Ben Salomo bei Veranstaltungen mit muslimischen, aber auch bei »biografiedeutschen, linken« Kufiya tragenden Schülern. Gerade Letzteres ist für ihn ein Problem – schließlich trugen nicht wenige der Hamas-Mörder am 7. Oktober 2023 ein solches Stück Stoff, weshalb es für ihn zum terroristischen Dresscode gehört. Deshalb insistiert Ben Salomo darauf, dass es bei seinen Vorträgen abgelegt wird. Dies sei oft nicht leicht durchzusetzen, denn die historische Bedeutung des sogenannten PLO-Tuchs kenne ohnehin kaum jemand.

Selbst an UNESCO-Projektschulen, die sich der Förderung von Frieden und Diversität verschrieben haben, sei die einseitig israelfeindliche Haltung der Vereinten Nationen und die problematische Rolle der UNRWA-Schulen unbekannt. Lehrer reagierten fassungslos, wenn er bei Fortbildungen auf UN-finanzierte palästinensische Schulbücher verweise, die Judenhass propagierten.

Ben Salomos ernüchternde Analyse bleibt nicht auf Schulen beschränkt, sondern bezieht Medien und soziale Netzwerke mit ein. Sein Fazit zeigt sich in sieben Forderungen an Schulen und Gesellschaft: Zunächst müsse die IHRA-Antisemitismusdefinition nicht nur gelten, sondern besser bekannt sein. Auch sollten mehr Kenntnisse zur Geschichte Deutschlands und des Nahen Ostens vermittelt werden. Entsprechende Lehrerfortbildungen müssten verpflichtend sein.

Weiterhin wünscht sich Salomo Medienkompetenzkonzepte, die endlich den Antisemitismus berücksichtigen. Zudem wäre es an der Zeit, dass der Schulbetrieb den eigenen Antisemitismus zu reflektieren beginne. Schließlich solle man Begegnungen mit Israel schaffen, und zwar ganz reale mit israelischen Schülern und Lehrern.

Keine kleine Aufgabe, doch ein Hof­f­nungsschimmer: Ben Salomo erklärt sich bereit, sie zu unterstützen.

Ben Salomo: »Sechs Millionen, wer bietet mehr? Judenhass an deutschen Schulen«. Jüdischer Verlag, Berlin 2025, 170 S., 18 €

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