Film

Scheiden tut weh

Ehe vor Gericht: Ronit Elkabetz als Viviane Amsalem Foto: Riva Film

Ein karger Gerichtssaal. Eine Frau, ein Mann – noch sind sie verheiratet –, ihre Anwälte und drei Rabbiner, die über diese Ehe richten sollen. Fast zwei Stunden lang fühlt man sich auch als Betrachter in derselben ausweglosen Lage wie die Hauptfigur Viviane Amsalem, die im Verlauf dieses Films, der diese Woche in die deutschen Kinos kommt, fünf Jahre lang versuchen wird, sich von ihrem Ehemann Elisha scheiden zu lassen.

verfahren
In Israel gibt es keine Zivilehe und auch nur religiöse Scheidungen vor Rabbinatsgerichten und nach halachischen Regeln. Nur wenn der Ehemann in die Auflösung der Ehe einwilligt und seine Frau »verstößt«, wird sie durch den Get – den Scheidungsbrief – wieder »für andere Männer freigegeben«. Tut er es nicht, kann sie nicht wieder religiös heiraten; Kinder aus späteren Beziehungen gelten als Bastarde.

Um dieses nicht nur Außenstehenden oft absurd und archaisch erscheinende Prozedere geht es der Hauptdarstellerin Ronit Elkabetz, die zusammen mit ihrem Bruder Shlomi auch Regie führte. Es ist der dritte Teil einer gemeinsamen Trilogie die mit Ve Lakachta Lecha Ischa (»Getrennte Wege«) aus dem Jahr 2004 und Shivah von 2008 begann.

Ronit Elkabetz verkörpert die hochemotionale Viviane zunächst als schweigsame, sich nur mühsam kontrollierende Frau. Sie ist ganz in Schwarz gekleidet, trägt ihre Haare unauffällig zusammengebunden und ist zunächst gewillt, dieses Männergericht zu respektieren. Viviane fügt sich, spielt das für sie so unwürdige Spiel mit, will aber auf jeden Fall die Scheidung. Ihr Ehemann Elisha ist stur, stolz und sehr religiös. Simon Abkarian spielt ebenso wie Ronit Elkabetz mit unterdrückter Wut; beide sind herausragende Darsteller, die dem bewusst streng theatralisch angelegten Setting des Films Leben und Komplexität einhauchen.

anwalt Vivianes Antrag auf den Scheidungsbrief wird abgelehnt, einmal, zweimal, stets von Neuem. Denn, so die rabbinischen Richter, Elisha ist kein Ungeheuer, das seine Frau schlägt, sondern ein liebender Ehemann, der ihr viele Freiheiten gewährt, sie auch in die gemeinsame Wohnung zurücknimmt. Und Viviane zieht für einige Monate wieder zu ihrem Mann. Doch Elisha demütigt sie durch Schweigen, straft sie mit Missachtung. Und so treffen sich die Eheleute erneut vor Gericht, immer wieder und jahrelang. Zeugen werden aufgerufen, der Bruder des Beklagten vertritt ihn. Es ist der grandiose Sasson Gabai aus Die Band von Nebenan und Das Schwein von Gaza, der diesen selbst ernannten Rabbi genial verkörpert: mal großspurig und mit allen Wassern gewaschen, dann wieder scheinbar naiv oder versöhnlich.

Als Zeugen geladen sind vor allem Familienmitglieder. Spannend ist, wenn sich in der Aufregung die Sprachen vermischen. Elisha und Viviane sind marokkanischstämmige Juden, die privat eher auf Französisch miteinander kommunizieren als auf Iwrit. Auch an diesem Detail lässt sich die gesamte vertrackte und verworrene Lage zweier ebenso moderner wie in der Tradition gefangener Israelis festmachen.

tragik Get – Der Prozess der Viviane Amsalem ist ein Film über das Verhältnis von orthodoxen und weniger orthodoxen Israelis, über eine von Männern und Religionsbürokraten dominierte Familienrechtsprechung. Es ist ein ebenso unterkühlter wie raffinierter Gerichtsthriller, eine beklemmende Studie über die Ohnmacht angesichts einer gescheiterten Ehe, über Missverständnisse zwischen Mann und Frau.

Viviane möchte so gerne einmal ein Kompliment für ihr Kochen hören, Dank für die Mühen der Hausarbeit; sie wünscht sich Blumen, will in ein Café eingeladen werden. Elisha klagt, dass sie ihn immer wieder vor der Familie bloßstelle, ständig nörgele, die Kinder gegen ihn aufbringe. Und so wird einem auch zunehmend die Tragik dieser missglückten Ehe vor Augen geführt. Dieser Film ist, bei aller Kritik am System der religiösen Familiengerichte in Israel, kein einseitiges Pamphlet. Auch für Elisha, den Ehemannder seine Frau nicht freigeben will und kann, entwickelt man als Zuschauer gewisse Sympathien.

Die Kameraperspektiven, der Wechsel zwischen Totalen, Großaufnahmen und Halbtotalen reizen das Medium Film gekonnt aus. Deshalb wirkt dieser zunächst so theatralisch daherkommende Film nicht wie ein abgefilmtes Bühnenstück. Und die Komplexität der Figurenzeichnung, das mal distanzierte, dann exaltierte Spiel mit großartigen Schauspielern in den Haupt- und Nebenrollen lassen dieses beeindruckende Werk lange nachwirken.

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