Fundstück

»Roth ist natürlich Jude«

Richard Nixon Foto: dpa

Als Liebhaber schöngeistiger Bücher hat Richard M. Nixon (1913–1994) sich nicht hervorgetan. Der 37. Präsident der Vereinigten Staaten war ausschließlich an politischer Macht interessiert. Doch am 3. November 1971 beschäftigte ein kurz zuvor erschienener Roman den Präsidenten offenbar so sehr, dass er sich mit seinem Stabschef H.R. Haldeman statt über den Vietnamkrieg und seinen bevorstehenden Chinabesuch über dieses Buch beriet: Philip Roths politische Satire Our Gang. Die Unterhaltung der beiden blieb der Nachwelt dank Nixons berühmt-berüchtigter geheimer Abhöranlage erhalten, mit der er alle Gespräche im Weißen Haus mitschneiden ließ. Der Historiker Jon Wiener hat jetzt in der »LA Review of Books« dieses literaturpolitische Ereignis dokumentiert. Hier einige Höhepunkte:

Nixon: Was wissen Sie über dieses Roth-Buch?

Haldeman: Oh, einiges. Es ist ein lächerliches Buch, ekelerregend.

Nixon: Worum geht es?

Haldeman: Um den Präsidenten der Vereinigten Staaten.

Nixon: Das weiß ich, das weiß ich. Was ist das Thema?

Haldeman: Diese Abtreibungssache. Was das Buch inspiriert hat, war Ihre Stellungnahme zur Abtreibung, der er Ihre Verteidigung von Calley gegenüberstellt. (Leutnant William Calley hatte 1968 im vietna- mesischen My Lai mit seiner Einheit 503 Zivilisten massakriert. Am 31. März 1971 wurde er deshalb zu lebenslanger Haft verurteilt. Tags drauf verfügte Nixon Calleys Freilassung. Anm. d. Red.) Er schreibt, dass eine der erschossenen vietnamesischen Frauen schwanger war und dass Sie damit Abtreibung befürworten. Völlig pervers. Das Buch endet damit, dass Sie, beziehungsweise die Hauptfigur »Trick. E. Dixon«, einem Attentat zum Opfer fällt und in die Hölle kommt, wo er sofort wieder anfängt, Politik zu machen.

Nixon: Wie hoch ist die Auflage?

Haldeman: Von dem Buch? Auf den Bestsellerlisten ist es noch nicht aufgetaucht. Kein Hinweis darauf. Aber Philip Roth ist ein sehr bekannter Schriftsteller ...

Nixon: Wer ist er überhaupt?

Haldeman: Er hat Goodbye, Columbus ge-schrieben, das sehr erfolgreich verfilmt wurde, dadurch ist er bekannt geworden. Aber sein größtes Ding ist Portnoys Complaint, das obszönste, pornografischste Buch aller Zeiten. Ich habe es nie gelesen, aber wie ich höre, ist es sehr gut geschrieben, wenn auch ekelelerregend schweinisch.

Nixon: Roth ist natürlich Jude.

Haldeman: Oh ja. Er ist auf eine kranke Weise brillant.

Nixon: Das kann man zu unserem Vorteil drehen. Ich glaube, diese antisemitische Sache kann uns nützen, auch wenn ich das ungern sage.

Haldeman: Es gibt mehr Antisemiten als Juden. Die Antisemiten unterstützen uns in der Regel. Die Juden ganz sicher nicht.

www.lareviewofbooks.org/essay

Medien

»Stern«-Reporter Heidemann und die Hitler-Tagebücher

Es war einer der größten Medienskandale: 1983 präsentierte der »Stern« vermeintliche Tagebücher von Adolf Hitler. Kurz darauf stellten die Bände sich als Fälschung heraus. Ihr »Entdecker« ist nun gestorben

von Ann-Kristin Wenzel  10.12.2024

Imanuels Interpreten (2)

Milcho Leviev, der Bossa Nova und die Kommunisten

Der Pianist: »Ich wusste, dass ich Bulgarien verdammt zügig verlassen musste«

von Imanuel Marcus  10.12.2024

Glosse

Der Rest der Welt

»Mein kleiner grüner Kaktus« – ein Leitfaden für Frauen von heute

von Nicole Dreyfus  10.12.2024

Gelsenkirchen

Bayern-Trainer Kompany: Daniel Peretz genießt mein Vertrauen

Daniel Peretz soll Manuel Neuer bis zum Jahresende im Bayern-Tor vertreten. Trainer und Mitspieler vertrauen dem Israeli. Neuer könnte in einem Monat in Gladbach zurückkehren

 10.12.2024

Meinung

PEN Berlin war kurz davor, auf der Seite der Feinde Israels zu stehen

Nur knapp konnte verhindert werden, dass die Schriftstellervereinigung eine Resolution annahm, die von glühender Israelkritik geprägt war

 10.12.2024

Beverly Hills

Zahlreiche Juden für Golden Globes nominiert

Darsteller, Regisseure und Komponisten stehen auf der Liste

von Imanuel Marcus  10.12.2024

Kontroverse

»Da sind mittlerweile alle Dämme gebrochen«

PEN Berlin-Gründungsmitglied Lorenz Beckhardt über den Streit über Israel und den Nahostkonflikt

von Michael Thaidigsmann  10.12.2024

Jerusalem

100-mal Kafka

Israels Nationalbibliothek stellt ihre außergewöhnliche Sammlung zu dem jüdischen Schriftsteller vor

von Sabine Brandes  10.12.2024

Magdeburg

Deutsches Zentrum Kulturgutverluste feiert zehnjähriges Bestehen

Was im Museum ist, gehört dort auch hin: Diese Einstellung hat sich inzwischen vielfach gewandelt. Museen und Bibliotheken spüren der Herkunft ihrer Bestände nach - und geben sie teils zurück

von Dörthe Hein  10.12.2024