Oper

Requiem nach der Höllenfahrt

Donna Anna (Adela Zaharia) und Don Ottavio (Agustín Gómez) in »Don Giovanni/Requiem«
Zaharia) und Don Ottavio (Agustín Gómez) in »Don Giovanni/Requiem« Foto: Frol Podlesnyi

Oper

Requiem nach der Höllenfahrt

Der Exilrusse Kirill Serebrennikov erschüttert mit »Don Giovanni« in Berlin

von Maria Ossowski  02.05.2025 20:30 Uhr

»Wenn du in einer schwierigen Situation überleben willst, wenn du dich lebendig fühlen willst, dann brauchst du einen Freund, einen Co-Autor des Lebens. Meiner heißt Mozart. Mozart ist die Lebenspille, damit diese Bastarde dich nicht töten. Mozart ist mein Co-Therapeut.«

Kirill Serebrennikov weiß, wovon er im Interview spricht. Vom August 2017 bis zum April 2019 überlebte der Starregisseur und ehemalige Leiter des mittlerweile geschlossenen Gogol-Theaters den Hausarrest mit einer Fußfessel in seiner 40 Quadratmeter kleinen Moskauer Wohnung. Dank Mozart und dessen drei Opern, die der Librettist Lorenzo da Ponte geschrieben hatte: Cosi fan tutte, Figaros Hochzeit und Don Giovanni.

Aus dem Hausarrest heraus

Aus dem Hausarrest heraus hat Sere­brennikov die Cosi, wie Mozart-Kenner sie abkürzen, per Zoom in Zürich inszeniert. Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine ging er im Frühjahr 2022 nach Berlin ins Exil und hat dort alle drei Opern auf die Bühne der Komischen Oper gebracht, zum Schluss jetzt die bekannteste, beliebteste, auch die abgründigste. Don Giovanni hatte am Sonntag Premiere, eine vom Publikum heiß umjubelte, von der erwartungsvoll-kritischen Opernliebhaberin allerdings eher ratlos betrachtete.

Serebrennikov ist ein gebildeter, tiefsinniger und gleichzeitig unendlich fantasievoller Geist. Der Vater war Jude, seine ukrainische Mutter hat Russisch unterrichtet. Mit seinem Vater hat er bis zu dessen Tod vor einem Jahr mehrmals täglich per Video geplaudert, Chats zwischen Berlin und Rostow am Don.

Seine Inszenierungen in Russland sind ausverkauft – aber laufen nicht unter seinem Namen.

Serebrennikovs Inszenierungen in Russland laufen zwar vor ausverkauften Häusern, aber nicht mehr unter seinem Namen. Zu laut und zu deutlich hat er die russische Nomenklatura für Nationalismus und Kriege verantwortlich gemacht.

»Die Deutschen haben begriffen, dass Krieg Selbstmord ist und eine Gesellschaft zerstören kann«, erzählt er während der Proben, »in Russland aber waren Krieg und Sieg über Jahrzehnte quasi Synonyme. Die Menschen sind schon morgens aufgewacht mit der ständigen Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg. Bereits als Kinder haben wir ständig über Sieg gesprochen. Sieg. Sieg. Sieg. Man kann aber nicht von Sieg reden, wenn 20 Millionen Russen in diesem Krieg verreckt sind. Das ist kein Sieg, das ist Gemetzel, ein Massaker. Eine blutige Hölle. Aber nein, die Propaganda nutzt diesen Sieg, um den Nationalstolz ständig neu zu befeuern.«

Den Krieg mit seinen Grausamkeiten hat er perfekt eingeflochten

Den Krieg mit seinen Grausamkeiten hat er in seiner Cosi perfekt eingeflochten. Serebrennikov kennt das ewig gültige von Mozarts Figurenreigen. Die Aktualisierung mit Muskelmännern und Kriegsvideos hat funktioniert. Die Helden sterben, die Frauen trauern. Mann und Frau im Krieg, das war sein Thema in der Cosi. Arm und Reich und die Unüberwindbarkeit der Klassen, des Oben und Unten, das inszenierte er auf verschiedenen Bühnenebenen im Figaro. Loft mit Kunstwerken oben, Souterrain mit Waschmaschinen und Putzlappen unten.

In Don Giovanni schließlich geht es nur noch ums Existenzielle, um Leben und Tod und die Welt dazwischen. Serebrennikov lebt sein Judentum nicht – weder privat noch in seinen Werken. Für Don Giovanni zitiert er aus dem tibetischen Totenbuch, im achten Jahrhundert entstanden. Er verortet die Frechheiten und Verführungen, den Mord und die Höllenfahrt des Frauenverspeisers Don Giovanni in die Räume des buddhistischen Bardo, einer Art Zwischenreich. Dort können die Toten 49 Tage zurückblicken auf ihr Leben, dort entscheidet sich ihre weitere Existenz.

Folglich beginnt die Oper mit Don Giovannis Beerdigung. Allerdings steht der Kerl plötzlich auf, kehrt ins Krankenbett zurück und träumt, verführt, scheitert. Aus Donna Elvira wird Don Elviro, die Rolle besetzt ein Sopranist (das habe ich gelernt: kein Countertenor, Bruno de Sá hat einen hohen, lichten, ungeheuer starken Sopran und wird zu Recht bejubelt).

Don Giovanni ist kein Macho. Eher ein Jüngelchen, das nicht weiß, wie es gestrickt ist.

Don Giovanni ist kein Macho, eher ein Jüngelchen, das nicht so recht weiß, wie es gestrickt ist. Von der Story des Librettisten Lorenzo da Ponte, übrigens aus jüdischer Familie stammend und mit einer Lebensgeschichte, die sämtliche seiner Libretti blass aussehen lässt, ist bei Serebrennikov wenig übrig geblieben.

Zu viele Anspielungen machen ein Studium des Programmhefts notwendig

Was die Musik von Mozart aber dank eines guten Orchesters unter James Gaffigan und eines starken Solistenensembles verkraftet. Die Rezensentin allerdings war nicht die Einzige, die das Programmheft eingehend studieren musste, um alle Anspielungen zu begreifen. Es waren zu viele. Wieso guckt der tote Komtur zu Giovannis Beerdigung aus dem Fenster? Tanzt der gealterte Don Giovanni zum Requiem nach der Höllenfahrt? Sind die blutigen Hände eine Anspielung auf Morde an israelischen Soldaten im Westjor­danland? (Nahost kommt sonst nicht vor.)

Fragen über Fragen, aber seien wir gnädig: Sämtliche ermüdenden Irritationen werden entschädigt durch die beste und erschütterndste Höllenfahrt der Operngeschichte. Hubert Zapior, der Sänger des Don Giovanni, wird an zwei Seilen hochgezogen zur Bühnenmitte, seine letzten Worte schreit er, sich drehend und von Flammen bedrängt, in die Hölle und ins Publikum. Direkt darauf erklingt Mozarts Requiem. Gleiche Tonart, perfekt passend. Ein echter Serebrennikov, poetisch, erschütternd, nachklingend.

Zum Schluss des Interviews während der Figaro-Proben antwortete er auf die Frage, ob er je nach Russland zurückkehren würde. Kirill Serebrennikov, 55 Jahre alt, sieht die Zukunft seines Heimatlandes düster. »Es wird Jahrzehnte dauern, um dieses Land zu verändern. Sie begehen dort Selbstmord mit diesem Krieg. So eine kriegerische Einstellung verschwindet nicht plötzlich. Das braucht viel Zeit.«

Weitere Aufführungen im Schillertheater Berlin am 3., 9., 11., 14., 17. und 23. Mai

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