»Frau im Dunkeln«

Regiedebüt am Strand

Olivia Colman als Leda in »Frau im Dunkeln« Foto: 2021 Netflix, Inc.

Sind Sie bereit, sich in die Tiefen der Gedankenwelt einer Frau zu wagen? Wahrheit vor Schönheit? Offenheit vor Harmonie? Die US-Schauspielerin Maggie Gyllenhaal öffnet Ihnen mit ihrem Regiedebüt Frau im Dunkeln die Tür. Dabei trifft es sich gut, dass der Kinofilm ab dem 31. Dezember auch auf Netflix zu sehen sein wird.

Denn frau ist gern allein damit. Auch wenn das kurze Kinofenster eher der Angst vor einem neuen Lockdown und der stetig wachsenden Macht der Streamer geschuldet sein dürfte. Allerdings bleibt zu hoffen, dass sich nicht nur Frauen angesprochen fühlen, geht es doch mit großer Aufrichtigkeit und Härte um Mutterliebe, ein Thema, das in unserer Gesellschaft nur langsam eine streng bewachte Tabuzone verlässt.

REGRETTING MOTHERHOOD 2015 hat die israelische Soziologin Orna Donath mit ihrem Buch Regretting Motherhood: Wenn Mütter bereuen für einen Skandal gesorgt. Eben das verhandelt auch Gyllenhaals Film, der nach zwei Nominierungen für die Golden Globes ebenso gute Chancen auf einen Oscar hat: Was, wenn es eine Mutter nicht glücklich macht, den Nachwuchs großziehen zu dürfen? Was, wenn eine Mutter ausbricht aus der Rolle, die die Gesellschaft für sie gebaut hat? Was, wenn eine Mutter nicht Mutter sein will?

Während das Original in Italien unter Italienern spielt, treffen Gyllenhaals Figuren am Strand einer kleinen griechischen Insel aufeinander. Leda ist eine amerikanische Literatur-Professorin, die gerade ihren Urlaub mit Sonne, Meer und Büchern genießt, als eine Großfamilie aus Queens auftaucht und das Paradies für sich in Beschlag nehmen will.

Leda wehrt sich scharfzüngig und kommt schließlich der jungen, schönen Nina näher, frustrierte Frau des Familienprinzen und Mutter einer anstrengenden kleinen Tochter. Diese Nina und ihr Kind sorgen bei Leda für schmerzhafte Flashbacks. Und bald lernt der Zuschauer, dass Leda sich als junge Frau zwischen Ehe, Kindern und einer Hochschulkarriere aufgerieben hat. Mit verheerenden Konsequenzen für alle.

DARSTELLERINNEN Die großartige Olivia Colman, bekannt aus The Favourite und The Crown, spielt Leda mit einer Uneitelkeit und Ehrlichkeit, die zuerst verstört und dann zunehmend wohltuend wird, fast kathartisch. Dakota Johnson gibt Nina, eine gefangene Frau, die von Freiheit träumt und zu Übersprungshandlungen neigt. Und dann ist da noch eine Puppe, Ferrantes wohl berühmteste Metapher, die Ninas Tochter gehört und in der sich die dunkle Suppe aus schlechtem Gewissen, Erwartungen, Schmerz und Angst sammelt.

Regisseurin Margalit »Maggie« Ruth Gyllenhaal, deren Vorfahren mütterlicherseits als jüdische Migranten aus Russland und Polen in die USA kamen, war schon als Schauspielerin berühmt für Mut und Neugier: 2002 gelang ihr der internationale Durchbruch als masochistische Gespielin von James Spader in Secretary, sie spielte in Spike Jonzes Adaptation und neben Dustin Hoffman in Stranger than Fiction. Ab und zu war sie in Blockbustern wie The Dark Knight zu sehen.

FILMRECHTE »Ich musste so häufig Kompromisse machen, wie viel Hirn ich für meine Arbeit nutzen darf«, sagte Gyllenhaal im Interview mit »Elle«. »Ich will das nicht mehr.« Zudem hätten vier Jahre Trump-Amerika sie politisiert und dazu geführt, sich zu fragen, was sie wirklich machen wolle. Also habe sie sich hingesetzt und angefangen zu schreiben. Zuerst einen Brief an Elena Ferrante, die ihr die Filmrechte für das Buch unter der Bedingung überließ, dass Gyllenhaal auch Regie führen werde. Und dann das Drehbuch.

Gyllenhaal ist selbst Mutter und sagte in der Late Show with Stephen Colbert über das harte Thema ihres Films: »Ich liebe meine Kinder, aber es ist eine sehr komplizierte Erfahrung. Und meistens, wenn man sich nicht nur in diesem kleinen, abgesteckten Meinungsfeld bewegt, auf das wir uns geeinigt haben, dann heißt es: ›Mit dir stimmt etwas nicht.‹« Man müsse neben der »herzerfüllenden Begeisterung« auch über »den Schrecken und die Angst« sprechen dürfen, damit andere Eltern wissen, dass sie nicht allein sind. Gyllenhaals Regiedebüt ist ein kraftvolles Gesprächsangebot.

Hans-Jürgen Papier

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